"Eltern sind viel zu perfektionistisch"
Erziehungsberater Jan-Uwe Rogge über Kinder, Pubertät und zu hohe Ansprüche.
Auf Einladung der Kinderfreunde gastierte der bekannte deutsche Bestseller-Autor und Erziehungsberater Jan-Uwe Rogge (72) in Wels und sprach über eines seiner Lieblingsthemen: die Pubertät. Die OÖNachrichten haben ihn bei dieser Gelegenheit zum Interview über Eltern, Kinder, Jugendliche, Krisen und Perfektionismus gebeten.
Was machen Eltern heute anders als frühere Generationen?
Jan-Uwe Rogge: Meiner Meinung nach sind Eltern extrem perfektionistisch geworden. Generell geht die Tendenz in unserer Gesellschaft dazu, dass man glaubt, alles im Leben sei machbar, wenn man sich nur genügend anstrengt: das perfekte Kind, die perfekte Karriere, das perfekte Leben, die perfekte Gesundheit. Das hat dazu geführt, dass wir glauben, dass wirklich alles von uns selbst abhängt. Dies ist wiederum der Grund dafür, dass wir mit Dingen nicht mehr umgehen können, die einfach so passieren können und uns einen Strich durch die Rechnung machen …
… zum Beispiel eine schwierige Pubertät unserer Kinder?
Ja, denn niemand kann die Pubertät seines Kindes planen – weder den Beginn noch den Verlauf. Manche Kinder kommen mit neun Jahren in die Pubertät, die anderen erst mit 15. Die einen bekommen im Zuge dieser hormonellen Veränderung schwere Akne, andere werden zu dick oder zu dünn oder hören auf, sich zu waschen und liegen den ganzen Tag im Bett. Und dann gibt es jene, die sich hemmungslos besaufen oder gar Drogen nehmen. Wichtig ist, dass die Familie offen damit umgeht und gemeinsam daran arbeitet, die Dinge wieder in den Griff zu bekommen.
Wie verschafft man sich in dieser Phase als Eltern Respekt?
Eltern sollten immer als Erzieherpersönlichkeiten auftreten, die klar und deutlich sagen, wo die Grenzen liegen. Ob das jetzt das Trotzalter ist oder die Pubertät: Unser Nachwuchs hat das Recht aufzubegehren, er will sich austesten und an uns reiben. Entwicklung ist eben das Gegenteil von Stillstand. Es muss sich etwas verändern.
Viele Eltern scheuen aber den Konflikt mit den Heranwachsenden, weil sie der Meinung sind, die Erziehung sei bereits am Ende. Ein Irrtum?
Ja, ein großer Irrtum. Denn Erziehung hat mit Beziehung zu tun, mit beharrlicher Beziehungsarbeit, die nicht immer harmonisch ist. Wer sich aus der Erziehung zurückzieht, lässt seine Kinder allein, macht sie halt- und orientierungslos.
Was, wenn es den Eltern einfach nicht gelingen will, Grenzen zu setzen und den Nachwuchs einzufangen?
Dann sollten sie sich um Himmels willen Hilfe holen. Das ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Intelligenz. Mütter und Väter brauchen in manchen Phasen kompetente Begleitung. Früher sind hier oftmals die Paten zur Hilfe gekommen. Heute gibt es viele Institutionen, die ihre Unterstützung anbieten. Was ich übrigens immer wieder erlebe: Pubertierende lieben ihre Großeltern, weil die wesentlich abgeklärter sind als die Eltern.
Sie sagen immer, dass durch die Pubertät der Kinder auch das Familienleben "pubertiert" – wie darf ich mir das denn vorstellen?
Die Pubertät unserer Kinder verändert immer auch das Familiensystem. Aus der elterlichen Konzentration auf die Kinder, aus der familiären Gemeinsamkeit entwickelt sich eine neue Partnerschaft, eine veränderte "Zweierbeziehung" von Vater und Mutter. Und es ist ja kein Geheimnis, dass in dieser Phase viele Partnerschaften auseinandergehen. Man kann es aber auch sehr, sehr positiv sehen: Das Erwachsenwerden und Ausziehen der Kinder kann der Beginn einer neuen, gemeinsamen Etappe sein.
Seit mittlerweile 40 Jahren antworten Sie auf Erziehungsfragen. Haben sich die großen Themen in dieser Zeit verändert?
Nein. In den 1980er-Jahren hat man sich viele Gedanken über das kindliche Fernsehverhalten gemacht und wie man diese Zeiten begrenzen könnte. Heute stellen sich die gleichen Fragen beim Handykonsum. Dann folgt der große Themenbereich Schule und die Tatsache, dass viele in der Pubertät keine Lust mehr auf Lernen haben – auch das ist seit Jahrzehnten gleich.
Ratgeberliteratur
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