"Die Schüsse klingen immer noch in meinem Ohr"
Vor 30 Jahren hielt das Geiseldrama von Gladbeck die Bundesrepublik Deutschland 54 Stunden lang in Atem.
Es war ein Verbrechen vor laufenden Kameras, es war eine tödliche Irrfahrt zweier Geiselnehmer, fast in Echtzeit – und es war vor allem ein Polizei- und Medienskandal: Das Geiseldrama von Gladbeck hielt die Bundesrepublik zwischen 16. und 18. August 1988 für 54 Stunden in Atem. Damals war Deutschland noch geteilt – und Helmut Kohl Bundeskanzler.
Es ist noch sehr früh an diesem Dienstag, als Dieter Degowski und Hans-Jürgen Rösner in der Stadt Gladbeck in Nordrhein-Westfalen eine Filiale der Deutschen Bank überfallen. So früh, dass die beiden Gangster, die sich bereits seit der Schulzeit kennen, sogar auf den Filialleiter warten müssen – weil nur der den Schlüssel zum zweiten Tresor hat.
Ein Passant bemerkt den Überfall und ruft die Polizei. Die beiden Streifenwagen fahren an der Filiale vor und werden von den damals 32 und 31 Jahre alten Kriminellen gesehen; Degowski und Rösner nehmen daraufhin den Kassier und die Kundenberaterin als Geiseln.
Dunkle Stunden der Polizeiarbeit
Was dann folgt, zählt zu den dunkelsten Stunden deutscher Polizeiarbeit – und der deutschen Medien. Die beiden Gangster, die sich mit Alkohol und Tabletten aufputschten, konnten von den Sicherheitskräften mehr oder minder unbehelligt mit wechselnden Geiseln in mehreren Fluchtfahrzeugen kreuz und quer durch Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Bremen und die Niederlande fahren. Die Polizei verzichtete – obwohl es mehrere gute Gelegenheiten gab – auf einen Zugriff.
Und am Ende, nach der dilettantischen Beendigung der Geiselnahme am 18. August auf der Autobahn A3 bei Bad Honef, waren zwei Geiseln, der 15-jährige Emanuele de Giorgi und die 18 Jahre alte Silke Bischoff sowie ein Polizist tot. Degowski und Rösner wurden zu lebenslanger Haft verurteilt. Ersterer kam im Vorjahr frei, der zweite Verbrecher befindet sich noch im Gefängnis.
Skandalös war auch das Verhalten mancher Journalisten: Reporter übermittelten Lösegeldforderungen, belagerten Fluchtautos und kamen den Geiselnehmern so nahe, dass sie die Arbeit der Polizei behinderten. Am 18. August in Köln forderte ein Reporter Degowski gar auf, die Geisel Silke Bischoff erneut mit der Pistole zu bedrohen: "Halt der noch mal die Knarre an den Hals, ich hab’ das Bild noch nicht." Schließlich stieg ein Journalist der Boulevardzeitung "Kölner Express" noch ins Fluchtauto, um die Verbrecher zur Autobahn zu lotsen.
Eine späte Entschuldigung
Bei einer Gedenkveranstaltung dieser Tage entschuldigte sich Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet: "Die 54 Stunden des Geiseldramas stehen wie kein anderes Ereignis der Geschichte der Bundesrepublik für Grenzüberschreitungen durch Medien – gepaart mit Fehlern von staatlichen Behörden." Und auch die Polizei versichert, dass man aus Gladbeck sehr viel gelernt habe.
Nicht vergessen kann die dramatischen Stunden die ehemalige Geisel Ines Voitle: "Die Schüsse klingen immer noch in meinem Ohr, ich höre Silke heute noch schreien", sagte sie jüngst in einem Interview. Voitle saß damals in dem Auto, in dem Rösner ihre Freundin Silke Bischoff erschoss.
Voitle erhob schwere Vorwürfe gegen die Polizei: "Keine Zugriffe beim Einkaufen, beim Essengehen. Immer wieder die Frage, welche Polizei zuständig ist – das Nicht-miteinander-Kooperieren", sagte sie.
"Fühlte mich wie Schlachtvieh"
Zudem behauptete sie, die Polizei habe Silke erschossen: "Es ist eine Kugel von draußen gewesen." Voitle widerspricht damit Gutachten, die ergaben, dass Silke Bischoff durch eine Kugel aus Rösners Waffe gestorben ist. Schwere Fehler wirft sie auch den Medien vor: "Die Menschenwürde war nicht mehr da. Sie waren alle sensationsgeil", sagte Voitle. Sie habe sich wie "Schlachtvieh" gefühlt.
Wir fanden die Geiselnahme damals als Jugendliche ziemlich cool .Bis es eskalierte.
Die fast gleichaltrigen Teenies starben, und wir gingen abends in die Disco. Für sie war es bereits das grausige Ende ihres noch so jungen Leben.
Noch heute kommen mir die Tränen, wenn ich an die beiden jungen Opfer denke.
Da kam alles zusammen . Brutalste Gewaltbereitschaft, Sensationsgier und lausiges Versagen der Obrigkeit. Gerade diese hätte ja bereits durch die zurückliegenden Erfahrungen mit der RAF Gelegenheit gehabt, solche Situationen viel besser einzuschätzen und abzuhandeln.