Lade Inhalte...
  • NEWSLETTER
  • ABO / EPAPER
  • Lade Login-Box ...
    Anmeldung
    Bitte E-Mail-Adresse eingeben
    Bitte geben Sie Ihre E-Mail-Adresse oder Ihren nachrichten.at Benutzernamen ein.

gemerkt
merken
teilen

Jedem Clan sein Erdhaus

Von Gerhard H. Oberzill, 30. März 2019, 00:04 Uhr
Jedem Clan sein Erdhaus
Das berühmteste Ensemble dieser Art: die Tianluokeng Tulou-Gruppe mit drei runden, einem ovalen und einem quadratischen Erdgebäude im Kreis Nanjing, Provinz Fujian Bild: Gerhard H. Oberzill

In der südostchinesischen Provinz Fujian liegen zwei attraktive UNESCO-Welterbestätten, die bei uns kaum bekannt sind: das Inselchen Gulang Yu vor der Millionenstadt Xiamen und die Tulou der Hakka im Kreis Yongding.

Auf den ersten Blick sieht Xiamen aus wie alle anderen Millionenstädte im Reich der Mitte – ein Wolkenkratzer ragt neben dem anderen himmelwärts. Nur an der Hafenpromenade haben einige Kolonialbauten überlebt, die die Seehandelstradition an Chinas Südostküste bezeugen. Richtig nostalgisch aber wird es auf dem vorgelagerten Eiland Gulang Yu, das sich wegen seiner Besonderheit mehrerer schmückender Beinamen erfreut, etwa "Piano-Insel", "Garten auf dem Meer" oder "Architektur-Museum". Und vor ein paar Jahren hat es das autofreie, knapp zwei Quadratkilometer umfassende Inselchen sogar auf die UNESCO-Liste des Welterbes geschafft.

Zehn Minuten nur braucht das Fährschiff, um den Lujiang-Kanal zwischen Xiamen und Gulang Yu zu queren. Nach der Landung fühlt sich der Besucher gleich um anderthalb Jahrhunderte zurückversetzt, erwarten ihn doch rund 1000 kolonialzeitliche Gebäude der verschiedensten Baustile und Nationalitäten.

Jedem Clan sein Erdhaus
Die Millionenstadt Xiamen, hier mit dem beleuchteten Kuppelgebäude Bagua Lou, ist Ausgangspunkt für Ausflüge zur Insel Gulang Yu. Bild: Gerhard H. Oberzill

Ein (ehemals) britisches Konsulat gibt es da, ein spanisches, auch ein japanisches, dazu christliche Kirchen; Gärten und Parks lockern die dichte Besiedlung auf. Mächtige Banyan-Bäume wachsen hier ebenfalls, wenngleich vor ein paar Jahren ein Taifun einige von ihnen umgelegt hat. Zum Großteil sind die Gebäude private Residenzen und Villen, deren prächtigste aber nicht europäischen Handelsherren gehörten, sondern in Vietnam oder auf den Philippinen reich gewordenen Auslands-Chinesen.

Doch wieso "Piano-Insel"? Weil anno dazumal ein Flügel zum Must-have eines neureichen Inselhaushalts gehörte. So soll Gulang Yu bis heute über die höchste Klavierdichte Chinas verfügen. Wenigstens drei berühmte Pianisten stammen von hier, darunter auch ein Lehrer des Tastenvirtuosen Lang Lang. Zusätzlich illustriert ein Klaviermuseum, übrigens das einzige im Reich der Mitte, die Geschichte dieses Instruments auf dem Eiland. Außerdem kann in einer der prunkvollen Residenzen das Publikum traditioneller chinesischer Musik lauschen.

Festungen aus Stampflehm

Trotz Gulang Yus Attraktivität verirren sich nur wenige Europäer nach Amoy, wie Xiamen im lokalen Dialekt heißt. Dabei eignet sich die Stadt ideal als Ausgangspunkt für den Besuch eines weiteren Welterbes in der Provinz Fujian, der "Tulou" im Bezirk Yongding. Die dreistündige Autofahrt führt durch eine beschauliche Hügellandschaft mit reicher subtropischer Vegetation. Es gedeihen Bananen, Mangos, Papayas, Pomelos und andere Zitrusfrüchte. Auch Bambus wächst dort, der zu Körben geflochten wird. Auf Terrassen sprießen Reis und Tee, der "grün", also unfermentiert, getrunken wird. Wie der "frisch von der Quelle" schmeckt, das kann der Reisende unterwegs bei Gratiskostproben testen.

Jedem Clan sein Erdhaus
Yuchang Tulou im Dorf Tianluokeng: die Schuhe zeigen an, dass er bewohnt ist . Bild: Gerhard H. Oberzill

Ein Tulou, wörtlich "Erdhaus", ist ein gewaltiges, oft kreisrundes Gebäude mit meterdicken Mauern aus Stampflehm, das aus der Vogelperspektive entfernt an eine Stierkampfarena erinnert. Daneben gibt es Tulou auf viereckigem Grundriss und ganz vereinzelt ovale. Im Allgemeinen führt bloß ein Tor in den festungsartigen Komplex, und auch dass die relativ kleinen Fenster dieser "Burgen" erst in der Höhe des dritten Stockes beginnen, dient der besseren Verteidigung. Um eine Belagerung möglichst lange überstehen zu können, verfügt zudem jede "Festung" in ihrem Innenhof über einen Brunnen.

Und schützen mussten sich die Bewohner vom Volk der Hakka immer wieder: vor feindlichen Nachbarn, marodierenden Banditen und auch wilden Tieren. Die Hakka zählen aber nicht zu den 55 Minoritäten im Reich der Mitte, sondern gelten als eine von acht han-chinesischen Volksgruppen. Dennoch folg(t)en sie manch typisch chinesischem Brauch wie zum Beispiel dem Binden von Frauenfüßen nicht. Vermutlich stammen die Hakka ("Gäste") aus Chinas Norden, von wo sie – durch Kriege und Naturkatastrophen vertrieben – im Verlauf der letzten zwei Jahrtausende in mehreren Wellen südwärts wanderten. Ein japanischer Forscher allerdings sieht nach Genanalysen ihre Urheimat in der Region des Baikal-Sees.

Jedem Clan sein Erdhaus
Kochen im Tulou Bild: Gerhard H. Oberzill

Lebhaftes Innenleben

So abweisend Tulou nach außen sind, so lebhaft geht es in ihrem Inneren zu, sind sie doch von hunderten Menschen bewohnt, und zwar von den Angehörigen jeweils desselben Clans. Wie gemütlich es ist, mit der ganzen Verwandtschaft auf engstem Raum zusammenzuleben, sei freilich dahingestellt. Immerhin hat jede Familie ihren eigenen Bereich: Im Erdgeschoß liegen die einzelnen Küchen, darüber die Lagerräume, und erst die Stockwerke zwei bis vier dienen als Wohn- und Schlafzimmer. Aber zwischen den übereinander liegenden Räumen einer Familie gibt es keine vertikale Verbindung. Man muss raus auf die rundumlaufende Holzgalerie (alias "Pawlatsche") bis zur nächsten der meist vier Treppen, auf dieser rauf oder runter bis zum höher oder tiefer liegenden Laubengang und dort zum gewünschten Raum.

Jedem Clan sein Erdhaus
Im Hakka-Land erhält man allenthalben Kostproben von grünem Tee. Bild: Gerhard H. Oberzill

Insgesamt soll es 30.000 Tulou geben. Sie alle zu erhalten ist unmöglich. Vor allem in den entlegenen Gegenden ziehen die jungen Hakka aus, zurück bleiben die alten; sterben sie weg, sind auch die Tage ihrer Lehmfestungen gezählt. 46 Tulou wurden von der UNESCO als Welterbe gelistet. Soweit sie zu Museen umgestaltet wurden, können Touristen in ihnen ungehindert herumklettern. In andere "Erdhäuser" darf der Fremde nur einen Blick werfen, vielleicht auch noch den zentralen Ahnentempel besuchen. Aber wenn er sich zum Gehen wendet, taucht in aller Regel eine "Oma" auf, die dem Interessierten gegen einen Obolus das genauere Inspizieren gestattet. Auch mit dem Verkauf von Souvenirs und dem Vermieten einzelner Räume als Gästezimmer verdienen die Festungsbewohner ein Zubrot.

Am eindrucksvollsten wirken Tulou im Ensemble, besonders wenn dieses von einer erhöhten Plattform aus zu bewundern ist wie etwa beim Dorf Chuxi. Über eine steile Treppe erreicht man nach kurzem Anstieg eine Terrasse, die den Blick auf zahlreiche runde und eckige Lehmburgen freigibt.

Das Nonplusultra aber bietet der Weiler Tianluokeng, und praktischerweise führt zum dortigen Aussichtspunkt sogar eine Fahrstraße. Eingerahmt von Reisterrassen liegen dem Betrachter fünf geradezu prototypische Tulou zu Füßen, drei runde, ein quadratischer und ein ovaler. Dieses prächtige Panorama kann freilich nur genießen, wer sich durch die Massen von Selfie-wütigen chinesischen Touristen bis an die Brüstung des Aussichtsbalkons durchzukämpfen vermag.

 

Anreise

Dass Xiamen bei uns weitgehend unbekannt ist, soll nicht zum Trugschluss verleiten, dass es besonders kompliziert anzusteuern ist. Am leichtesten erreicht man die Drei-MillionenStadt via Hongkong oder Guangzhou (Kanton) und beide Metropolen sind gut an Europa angebunden. Weiter geht es per Schnellzug oder einstündigem Flug. Von Xiamen weg empfiehlt sich ein Auto mit Fahrer, der auch weiß, wo im Kreis Yongding die spektakulärsten Tulou liegen. Adressen von lokalen Reiseveranstaltern finden sich im Internet.

mehr aus Reisen

Online-Reservierung und Eintrittsgebühr: Das ändert sich in Venedig ab 25. April

Inselhüpfen mit dem Frachtkreuzer

Nostalgiefahrt gen Süden

Kappadokien: Wo jeder Stein Geschichte atmet

Lädt

info Mit dem Klick auf das Icon fügen Sie das Schlagwort zu Ihren Themen hinzu.

info Mit dem Klick auf das Icon öffnen Sie Ihre "meine Themen" Seite. Sie haben von 15 Schlagworten gespeichert und müssten Schlagworte entfernen.

info Mit dem Klick auf das Icon entfernen Sie das Schlagwort aus Ihren Themen.

Fügen Sie das Thema zu Ihren Themen hinzu.

0  Kommentare
0  Kommentare
Zu diesem Thema wurden noch keine Kommentare geschrieben.
Neueste zuerst Älteste zuerst Beste Bewertung
Aktuelle Meldungen