Schlemmertour im Paradies
Der Norden Sardiniens ist nicht nur ein Geheimtipp für jene, die romantische Felsbuchten mit türkisfarbenem Wasser schätzen. Auch Freunde deftiger, lokaler Küche entdecken zunehmend diesen Inselteil.
Ganz vorsichtig lässt Paolo Sardo die bläulich-rote Flüssigkeit über den Rücken des Löffels ins Glas rinnen. "Der Likör muss langsam in den Cocktail fließen, sonst würde er sich mit den anderen Zutaten vermischen", erklärt der Barkeeper. Es ist nichts anderes als der Geschmack Sardiniens, der zum berühmten Cocktail Sardo auf den Boden des Glases sinkt. "Das war ein Schuss des echten Mirto", sagt Paolo. Der Likör aus der Beerenfrucht des Myrtenstrauches ist ein traditioneller Kräuterlikör der Insel, und der Besuch in der Bar Paolos wird zum Auftakt zu einer kulinarischen Reise durch den Norden Sardiniens.
Opulentes Essen auf dem Land
Der 59-Jährige arbeitet seit 1984 in der Strandbar des Familienhotels Valle dell’Erica und ist längst zur Legende geworden. Die kleine Bar Li Caracòli liegt an einem der schönsten Strände der Insel. Der fast weiße Sand, das von großen Felsen durchsetzte, türkisblaue Meer und das Blau des Himmels ergeben ein schon fast kitschiges Bild. Paolo meint ohnehin, dass der Norden der schönere Teil Sardiniens sei: "Wir haben hier mehr Natur, mehr kleine Buchten und vor allem die Granitfelsen, die der Landschaft und dem Meerwasser an den Stränden diese türkise Farbe geben."
Wer opulentes Essen und die wahren sardischen Spezialitäten sucht, muss die Landgasthöfe der Insel besuchen, etwa die Tenuta Pilastru. Paolo Mancini bekommt glänzende Augen, wenn er von den Köstlichkeiten erzählt, die dort serviert werden. Der Sohn einer sardischen Mutter und eines italienischen Vaters liebt die Küche Sardiniens über alle Maßen. Mancinis absoluter Favorit: "Wildschwein in Tomatensauce mit Pasta oder Gnocchi." Liebend gerne zelebrieren die Sarden auch den Aperitif vor dem eigentlichen Essen. Angerichtet auf bistrotischgroßen Korkstücken ist die zum Prosecco gereichte Auswahl an Käse, Schinken, lokalen Salamisorten und Oliven überwältigend. Allerdings folgt danach noch das normale Essen. Es gilt also, sich deutlich zurückzunehmen.
Fischrogen als Spezialität
Eine der außergewöhnlichsten kulinarischen Spezialitäten Sardiniens und die absolute Leibspeise vieler Insulaner wird aber in nahezu jedem Lokal angeboten: Bottarga di cabras, Fischrogen der Großkopfmeeräsche, der erst gesalzen, später gepresst und an der Sonne getrocknet wird. Der Geschmack ist verblüffend. Ganz vorsichtig raspelt der Koch des Landgasthofes die Bottarga über die Pasta, gibt noch ein paar größere Stücke dazu und beobachtet dann lächelnd, wie seine Gäste nun den intensiven Geschmack von frischem Fisch auf den Nudeln wahrnehmen. Grandios – und deshalb fliegt auch kaum ein Besucher wieder nach Hause, ohne eine Ration Bottarga, den so genannten Kaviar Sardiniens, im Koffer zu haben.
Zurück auf der Hauptinsel, serviert Paolo Sardo kurz vor Sonnenuntergang eine kleine Auswahl an sardischem Käse. Vor allem der Ziegenkäse ist eine Wucht: Casu fiscu, Ziegen-Frischkäse, der auch zur Füllung von Ravioli hergestellt wird, oder der weiche, milde Dolce sardo. Er reicht dazu die klassischen, hauchdünnen Fladen, das Pane carasau, und ein einfaches, dunkel gebackenes Weißbrot.
Ganz langsam wird es nun dunkler, die Farben verblassen, und die Ohren registrieren umso mehr das sanfte Rauschen der kleinen Wellen. Schöner kann ein Tag nicht zu Ende gehen. Abgesehen davon verrät Paolo das Rezept "seines" Cocktails: "Drei Viertel Bier, ein bisschen Limettensaft und dann ein guter Schuss Myrtenlikör." Paolos Augen lächeln, als er mit uns anstößt und mit einem Arm weit über die Landschaft und das Meer schwenkt: "Versteht ihr jetzt, warum ich gesagt habe, ich bin hier im Paradies?"
Unterkünfte: Hotel Valle dell’Erica: ab 88 Euro mit HP pro Tag und Person, www. delphinahotels.de Agriturismo: Tenuta Pilastru, ab 40 Euro mit Frühstück, 72 Euro mit HP, www.tenutapilastru.it