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Mehr als Champagner

Von Roswitha Fitzinger, 30. Dezember 2017, 00:04 Uhr
Mehr als Champagner
St. Moritz zwischen Nostalgie, Luxus und Authentizität. Auf dem zugefrorenen See finden Polo- und Cricketturniere und sogar Pferderennen statt. Bild: rofi

In St. Moritz herrscht Champagner-Klima, sagt man, und meint nicht nur die perlende Flüssigkeit, die hier zuweilen in Strömen fließt. Bei allem Luxus und aller Mondänität, wird in dem einstigen Bergdorf jedoch vor allem eines hoch gehalten: die Tradition.

Es ist fast ein bisschen gespenstisch. Im Dunkeln geht es nach oben. Kein Licht in der Gondel, nur die Lichter von St. Moritz. Freitagabend ist Snownight auf der Corvatsch, einem von fünf größeren Skigebieten im Tal, neben vier kleineren. Dann wird ein 4,2 Kilometer langer weißer Teppich ausgerollt, die längste beleuchtete Skipiste der Schweiz. Spot an: Der Schnee ächzt unter den tiefen Temperaturen. Die Luft ist trocken und klar. Champagnerklima, heißt es hier. Die Mitfahrer haben sich schnell verflüchtigt auf einer Piste, die keinerlei Spuren der Tagesskifahrer erkennen lässt, platt gewälzt von schwerem Gerät. Bis 23 Uhr dauert das Auf und Ab, wenn man möchte. Andere biegen früher ab. Einkehrschwung in die Hossa-Bar. Après-Ski-Ambiente, wie man es kennt: Es wird getanzt, geflirtet und ... Braulio getrunken, ein Kräuterschnaps aus einer benachbarten italienischen Bergregion. Er schmeckt würzig und bitter, ein bisschen wie Medizin. Runter damit!

Sehen und gesehen werden

Die Hossa-Bar ist eine von 74 Hütten und Bergrestaurants im Tal. Es gibt sie in sämtlichen Ausführungen, für jeden Geschmack und jede Brieftasche. Da sind die urigen (Chamanna), die mit tollem Ausblick (Trutz), die rustikalen (Alpetta), die mit Clubcharakter (El Paradiso, CheCha) oder Gourmetrestaurants (White Marmon).

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Das weite Engadiner Tal mit insgesamt 88 Pisten Bild: Gian Andri Giovanoli

Nach St. Moritz kommt man zum Skifahren, aber nicht nur. Vor allem um Weihnachten und Silvester kommen viele, um zu sehen und gesehen zu werden. Kein Luxuslabel, das einem nicht die Aufwartung macht. Hier werden Straßenabschnitte beheizt, damit auf dem steilen Weg zum Nobelrestaurant niemand den Asphalt küsst. Das Parkhaus im Hang und mit Rolltreppe ist gleichzeitig eine Galerie. Während man nach unten rollt, ziehen 49 Jahre Engerdinger Skimarathon vorbei. Die zweitgrößte Langlaufveranstaltung der Welt mit mittlerweile 13.000 Startern feiert 2018 ihre 50. Auflage. Nach 50 Höhenmetern hat es sich ausgerollt, dafür öffnet sich eine weitere Tür. Die führt auf einen Steg mit Fernrohr. Wer den Durchblick hat, sieht jedoch nicht die prächtige Bergkulisse mit ihren 3000 Meter hohen Gipfeln ganz nahe, sondern den St. Moritzer See wie er sich im Sommer präsentiert – mit Seglern, Surfern und Stand-up-Paddlern.

Doch das Bergdorf, das einmal das kleinste im Tal war, hat noch ein weiteres Gesicht. Die Tradition ist hier ebenso gegenwärtig wie der Luxus.

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Poschiavo mit seinem Dorfkern wie aus einem Bilderbuch. Bild: rofi

Fleisch und Kaviar

Nina Glattfelders Geschäft liegt mitten in St. Moritz-Dorf. Das Interieur ist schlicht, die Ware hochwertig. Vor 85 Jahren hat ihr Großvater Kolonialwaren verkauft, seine Enkelin hat sich auf hochwertigen Kaffee und Tee spezialisiert. Ihre Leidenschaft gehört einer anderen Delikatesse. Von klein auf hat ihr Vater sie gelehrt, was guten Kaviar ausmacht. "Kaviar ist Luxus. Aber wenn man ihn genießt, muss er perfekt sein", sagt sie. Die besten Züchtungen zu finden, hat sich die Frau mit der rauchigen Stimme zur Aufgabe gemacht, dafür die ganze Welt bereist. Die Gäste kommen zum Après-Ski. Im "Caviar Stübli" wird er dann serviert,auf Bellini-Cracker und mit Crème fraîche, dazu ein Glas Champagner oder Prosecco. "Alles, was weiß ist, passt", sagt sie. Ein kostspieliger Genuss. 100 Gramm Beluga aus dem Iran müssen einem schon 480 Franken (440 Euro) wert sein. Es geht auch billiger: Osietra-Kaviar aus China kostet 280 Franken.

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Typisch St. Moritz – typisch Engadin: Carpuns bei Hatecke

Vergleichsweise billig ist da die Ware in einem weiteren Moritzer Traditionsgeschäft, aber nicht minder hochwertig. Die Metzgerei Hatecke macht auf Fleisch, luftgetrocknetes Bündnerfleisch vom Rind, Hirsch und Steinbock. "Alpines Fleischhandwerk" nennt Metzger Ludwig Hatecke, was er tut. Dafür braucht er wenig Salz und wenig Gewürze, der Fleischgeschmack soll im Vordergrund stehen. Das tut er auch. Die an eine gipfelknackende Schweizer Schokolade erinnernden, fein geschnittenen Dreiecke zergehen förmlich auf der Zunge. Nebenan geht es mitunter deftiger zu. Da wird auch gekocht, Carpuns beispielsweise. Der mit Mangoldblättern umwickelte Spätzleteig samt Speck wird mit einer Käserahmsauce serviert und als "richtiges Engerdinger Kraftessen" angepriesen – eines, das obendrein köstlich schmeckt.

Wer auf sich auf die Spuren des traditionellen St. Moritz heften möchte, kommt am Kulm nicht vorbei, dem ersten (Grand) Hotel im Tal, dessen Geschichte 1855 begann. Eine Pension namens Faller mit gerade einmal zwölf Zimmern war das Kulm damals. Heute sind es 172, alle 5-Sterne-plus, dazu fünf Restaurants. Streng blickt Hotelgründer Johannes Badrutt von einem Gemälde im imposanten Hotel-Foyer, so als müsste er über die Tradition wachen. Badrutt war ein Pionier. Im Speisesaal "seines" Kulm leuchtete die erste Glühbirne der Schweiz, hier wurde der erste öffentliche Telefonanschluss der Schweiz installiert, und weil seine britischen Stammgäste nur im Sommer anreisten, bot er ihnen an, auch im Winter zu kommen. Sollte es ihnen nicht gefallen, würde er ihnen die Reisekosten erstatten. Ein genialer Marketing-Gag mit einem Ausgang, den hier jeder kennt. Die Briten kamen zu Weihnachten und blieben bis Ostern.

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Tunnel und Kurven bestimmen den Weg über den Bernina-Pass auf über 2000 Meter Seehöhe. Bild: rofi

Im Kulm und St. Moritz wurde der Wintertourismus erfunden, sagt man seither. Der Tradition aber nicht genug: Auf dem Gelände des Kulm wurde 1883 der St. Moritzer Curling Club gegründet. Er ist ebenso legendär hier wie der Natureiskanal, der Cresta Run, der ebenfalls auf dem Hotelgelände seinen Ursprung hat. Mit dem Kopf voran donnern noch immer Männer in Ganzkörperanzügen mit 140 Sachen den Eiskanal hinunter.

Skifahren gehört zu unserer DNA

Aber auch ein Traditionshaus wie das Kulm muss mit der Zeit gehen. Eine Herausforderung, die Hoteldirektor Heinz E. Hunkeler 2013 angenommen hat. Sein Vater hat dem Kulm selber 30 Jahre den Stempel aufgedrückt. Hunkeler ist im Hotel aufgewachsen. Es war "sein Spielplatz", wie er sagt. Ein Grand Hotel der heutigen Zeit, das ist, was er will: "Nicht zu steif, nicht zu plüschig und nicht zu kompliziert", und doch noch als Grand Hotel erkennbar. Und so wurde etwa der Spa auf 2000 Quadratmeter ausgebaut, 26 Zimmer im Ostflügel wurden renoviert. Kulinarisch verwöhnt diesen Winter erstmals der Berliner Sternekoch Tim Raue mit seiner asiatisch inspirierten Küche die Kulm-Gäste.

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Das traditionsbewusste Kulm-Hotel in St. Moritz mit 160-jähriger Geschichte Bild: rofi

Die Zeit für eine Neuorientierung sieht auch der örtliche Tourismusdirektor Gerhard Walter gekommen. Der Luxusbegriff, mit dem St. Moritz assoziiert werde, sei nicht mehr zeitgemäß, sagt der gebürtige Tiroler, der bereits in Kitzbühel, Lech und Galtür als Tourismusdirektor tätig war. "Das Champagnerklima hat jahrzehntelang gut funktioniert, ist aber vorbei. Skifahren und Wintersport gehört zu unserer DNA." Vor allem den mit den beiden Frankenschocks verbundenen Gästeschwund von 30 Prozent gilt es aufzuholen, Gleiches gilt für den Rückgang an Betten, vor allem im billigeren Sterne-Segment. Wenngleich: "Billig ist St. Moritz nicht", räumt Walter ein. Vor allem in der Gastronomie gibt es in Vergleich zu Österreich Preiseunterschiede, wogegen die Skipasspreise in der Schweiz mittlerweile niedriger seien, versichert er. Wer eine Nacht in einem St. Moritzer Hotel verbringt, bekommt den Skipass um 38 Franken während des gesamten Aufenthalts.

Der Bahnhof ist die nächste Station. Nicht um heimwärts zu fahren, sondern um die Alpen zu überqueren. Ein Luxusvergnügen der anderen Art: Die Strecke von Chur bis Tirano gehört zum UNESCO-Weltkulturerbe. Auf 120 Kilometern fährt der Bernina Express durch mehr als 50 Tunnels und über knapp 200 Brücken. Davon ist in der vom Schnee zugedeckten Moorlandschaft des Stazerwaldes noch nichts zu sehen. Die bis zur Mitte der Waggondecke reichenden Panoramafenster geben den Blick frei auf Pontresina und seine prächtigen Hotelfassaden aus der Belle Époque.

Der Zug hält meist nur auf Anfrage, wie in Marteratsch. Das Stationshäuschen erinnert an ein Knusperhäuschen aus Holz, klein, urig und mit knallgelben Fensterläden. Eine Stunde Fußmarsch sind es von hier bis zur Gletscherzunge. Doch nur wenige steigen aus, die meisten wollen weiter nach oben. Sonnenbrille und Fotoapparate sind längst ausgepackt. Wer das kleine Fenster zwischen den Zugwaggons nach unten schiebt, kann es sehen und spüren – das Champagnerklima. Je weiter empor sich der Zug schraubt, umso mehr Kurven hat er zu bewältigen. Der schneebedeckte und von unzähligen Snowskitern in Beschlag genommene Stausee Lago Bianco zieht vorbei, bevor man schließlich ganz oben angekommen ist. Die höchstgelegene Station der Rhätischen Bahn, Ospizio Bernina auf 2253 Metern, bildet gleichzeitig die Sprachgrenze. Ab hier wird italienisch gesprochen, ab hier geht es bergab – allerdings nicht mit den Naturschönheiten.

Der Reiz der Abgeschiedenheit

Das Puschlavtal geizt nicht damit. Der Blick bleibt haften an der Berglandschaft des Piz Palü, dem Palügletscher und dem Palüsee, um irgendwann unweigerlich in die Ferne zu schweifen, wo längst die Gipfel der italienischen Bergamasker Alpen zu sehen sind. Näher ist da schon Poschiavo, der Hauptort des Tals.

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Poschiavo mit seinem Dorfkern wie aus einem Bilderbuch. Bild: rofi

Ein Ausstieg ist ein Muss. Der Piazzo, der Hauptplatz, ist klein, aber umringt von Palazzi aus dem Renaissance-Stil. Die Puschlaver waren einst begnadete Zuckerbäcker. Als sie das Tal verlassen mussten und in Italien und Spanien aufgrund ihrer Fertigkeiten zu Reichtum gelangten, ließen sie bei ihrer Rückkehr prächtige Häuser bauen. Von hier aus ist es überall weit hin. Eine Abgeschiedenheit, die ihre Reize, aber auch Herausforderungen hat. Das Tal und seine 4500 Bewohner üben sich in kulinarischer Selbstversorgung und in Zusammenhalt. Sie setzen auf regionale Produkte wie Käse, Buchweizen und Kräuter. Der Inhalt der berühmten Schweizer Kräuterzuckerl stammt übrigens von hier. Mindestens so bekömmlich sind allerdings die traditionellen "Crespelle di grano saraceno". Zu den überbackenen Buchweizen-Crêpes trinkt man keinen Champagner, sondern Wein von örtlichen Weinbauern. Auch das ist Luxus.

Im Detail: www-engadin.stmoritz.chwww.kulm.comwww.valposchiavo.ch

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