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Der tiefe Süden singt uns den Blues

Von Jasmin Baumgartinger und Philipp Hirsch, 22. April 2018, 10:00 Uhr
Der tiefe Süden singt uns den Blues
New Orleans ist bekannt für seine kreolische Küche und historische Altstadt (French Quarter). Bild: hip, baum

Blues, Jazz und Rock’n’Roll definieren die Südstaaten ebenso wie der Kampf um gleiche Bürgerrechte.

Amerika hat Bennett nicht gut behandelt. Vor zehn Jahren ließ er sich für die US-Armee verpflichten. Dreimal leistete er Dienst in Afghanistan. Eine Autobombe beendete die Armee-Karriere des Unteroffiziers. Seither ist er auf den Rollstuhl angewiesen. Sozialleistungen bekomme er fast keine, sagt er. Bennett ist einer von vielen armen Veteranen, denen wir auf dieser Reise durch den tiefen Süden begegnen werden. Diese Männer, die bereit waren, für ihr Land in den Krieg zu ziehen, und nun als Kriegsversehrte in ihrer Heimat kaum das Nötigste zum Leben haben, sind ein trauriges Sinnbild für den Zustand der letzten Supermacht.

Die vielen Obdachlosen in der Stadt schockieren uns. Unter den Highway-Brücken stehen hunderte kleine Zelte. Atlanta, die Hauptstadt von Georgia, wirkt auf Europäer seltsam. Ein Zentrum gibt es nicht. In Downtown stehen einige Hochhäuser, die ihre besten Jahre lange hinter sich haben, flache Stadtviertel fransen von dort in alle Richtungen aus. Von der stolzen Bank of America erreicht man in zehn Gehminuten ein Viertel, von dem selbst Einheimische sagen, dass man es in der Nacht als junge Frau ohne Begleitung eher meiden sollte. Hier hatte die Bürgerrechtsbewegung rund um Martin Luther King ihre Wurzeln. Ein Museum (Eintritt frei) erinnert an den Kampf für gleiche Rechte für Schwarze und Weiße.

In einem Greyhound-Bus kehren wir Atlanta bereits nach einem Tag wieder den Rucksack zu.

Der tiefe Süden singt uns den Blues
Im Greyhound-Bus trifft man auf Menschen, für die der amerikanische Traum nie existiert hat. Bild: hip, baum

Die Busse der Verlierer

Die Fahrten in den Bussen mit dem schneidigen silbernen Windhund-Logo sind nichts für zarte Gemüter. Dennoch, die Busse, die in den USA als Transportmittel der Verlierer gelten, waren für uns ein Gewinn: Wir saßen neben vielen ehemaligen Sträflingen, jungen Müttern mit plärrenden Kleinkindern, feschen Studenten im Surferlook und unglaublich übergewichtigen Familienvätern und gewannen dabei Einblicke in die Seele der USA.

20 Dollar kostet die Fahrt nach Montgomery. Die Hauptstadt Alabamas ist unsere erste Zwischenstation. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde sie durch die afroamerikanischen Bürgerrechtler bekannt. Rosa Parks weigerte sich hier, einen für Weiße reservierten Bussitz zu räumen (Busboykott von Montgomery), auch Bürgerrechtler Martin Luther King erreichte hier erste Erfolge. Ansonsten lässt sich die 200.000-Einwohner-Stadt mit drei Wörtern treffend beschreiben: konservativ, provinziell und langweilig. Wir beginnen an unserer Reiseplanung zu zweifeln. Hat der Süden tatsächlich nicht mehr zu bieten?

Bildergalerie: Der tiefe Süden singt uns den Blues

USA-Südstaaten: Heimat des Blues, Jazz und Rock'n'Roll
USA-Südstaaten: Heimat des Blues, Jazz und Rock'n'Roll (Foto: hip/baum) Bild 1/36
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Nach viel zu vielen Stunden in einem Greyhound-Bus erreichen wir Pensacola in Florida. Zum ersten Mal kommt so etwas wie Urlaubsstimmung auf. Unsere Unterkunft, das "Victorian Bed & Breakfast", ist ein kolonialer Traum. Jeder Holzbalken atmet Geschichte. Chuck und Barbee Major betreiben und pflegen das Haus seit vielen Jahren. Ihre Gäste behandeln sie wie Freunde. Das beste Frühstück unserer Reise zaubert Barbee für uns.

Pensacola ist in diesen Tagen fest in den Händen des Spring Break. Tausende Collegestudenten feiern hier ihre Frühlingsferien, als ob es kein Morgen gäbe. "Es ist eine verrückte Zeit, aber die Stadt braucht die Einnahmen", sagt Barbee.

"Die Wiege des Jazz"

Neben den berühmten schneeweißen Stränden, die ein Stück vor der Stadt auf einer Landzunge liegen, ist das National Naval Aviation Museum (Eintritt frei) ein beliebtes Ausflugsziel der Südstaatler. Europäer sieht man in dieser Gegend selten. In mehreren Hallen wird die Geschichte der Marine-Luftfahrt gezeigt. Hunderte alte Flugzeuge hat die US-Navy mit viel Pathos ausgestellt. Das Museum ist zwar eine großangelegte Werbeaktion für die US-Streitkräfte, deswegen aber nicht weniger beeindruckend.

New Orleans wartet auf uns. Der Greyhound-Bus erreicht die Stadt erst nach etwas mehr als fünf Stunden. Die Fahrt dauerte länger als geplant. Der junge Bus-Chauffeur hatte sich verfahren.

New Orleans erinnert kein bisschen an die bisher so konservativen Südstaaten-Städte. Wir haben die Stadt am Mississippi nur kurz kennengelernt, doch das reichte völlig aus, um sich Hals über Kopf in die kreolische Küche, die historische Altstadt und die dynamische Musikszene zu verlieben. Auf den Straßen zwischen den schmiedeeisernen Balkonen und Arkaden, den Überbleibseln aus der französischen und spanischen Kolonialzeit, versuchen junge Künstler ihr Glück.

Der tiefe Süden singt uns den Blues
New Orleans gilt als die Wiege des „Jazz“. Auf den Straßen des French Quarter klingt aus jeder Eckkneipe Musik. Bild: hip, baum

Wer sich sein Schicksal nicht von den Voodoo-Priesterinnen vorhersagen lassen möchte, besucht die Frenchmen Street. Hier reiht sich ein Jazz-Club an den nächsten, tagsüber tummeln sich Big Bands, die mit einer jubelnden Masse durch die Gassen ziehen. Jeder hier scheint in Partystimmung zu sein – doch wie in vielen Städten wird der Schein nur in den Touristenvierteln gewahrt. "Die Polizei kümmert sich nur um das Touristenviertel, außerhalb kann es passieren, dass es eine Stunde dauert, ehe sie kommt, wenn jemand angeschossen wurde", erzählt James, der für 40 Cent Plastikperlenketten an der Straßenecke verkauft. Wir nehmen uns seine Warnung zu Herzen und bleiben im French Quarter.

Am letzten Tag in New Orleans müssen wir unseren Plan, ausschließlich öffentlich zu fahren, aufgeben. Wir haben nicht mehr genug Zeit, um stundenlang auf den Bus zu warten. Wir steigen auf ein Mietauto um und machen uns auf dem "Blues Highway" entlang des Mississippi auf den Weg Richtung Norden.

Ein Pakt mit dem Teufel

Clarksdale liegt im Zentrum des Mississippi-Deltas. In dieser Stadt liegt der Blues in der Luft. Musiker Robert Johnson soll hier an einer Straßenkreuzung seine Seele an den Teufel verkauft haben, um den Blues wie kein anderer auf der Gitarre spielen zu können – so hat er es in seinem Stück "Cross Road Blues" beschrieben.

Der tiefe Süden singt uns den Blues
Bluesmusiker Robert Johnson soll an der Kreuzung der Highways 61 und 49 in Clarksdale einen Pakt mit dem Teufel geschlossen haben: seine Seele gegen die Gabe, den Blues wie kein Zweiter auf der Gitarre spielen zu können. Bild: hip, baum

Morgan Freemans "Ground Zero"-Club befindet sich ebenso hier wie das "Delta Blues Museum", das eine der umfassendsten Sammlungen an Blues-Erinnerungsstücken besitzt. Der Blues hält die Stadt am Leben. Ohne ihn wäre Clarksdale nicht mehr als ein verlassenes Westerndorf. Wir übernachten im wunderbaren "Shack Up Inn" (siehe Tipps rechts) und bereuen es, für die "Heimat des Blues" nur einen Tag eingeplant zu haben.

Walking in Memphis

In Memphis verfliegt diese Reue rasch. Die Stadt ist Pflicht für alle Rock’n’Roll-Fans. Wir besuchen das Studio von Sun Records: Hier wurden Künstler wie Elvis Presley, Johnny Cash oder Jerry Lee Lewis in den 1950er Jahren entdeckt.

Der tiefe Süden singt uns den Blues
In den Sun Studios wurde der Rock’n’Roll geboren. Johnny Cash, Carl Perkins, Jerry Lee Lewis und Elvis Presley haben hier ihre Songs aufgenommen. Bild: hip, baum

Die Beale Street ist das touristische Zentrum der Stadt. Die Polizei riegelt in den Abendstunden alle Zufahrtsstraßen ab, damit die Touristen in den Rock’n’Roll- und Blues-Clubs nicht gestört werden.

Außerhalb von Memphis liegt Graceland, das ehemalige Anwesen von Elvis Presley. Die Villa ist ein Wallfahrtsort. Vom Rasenmäher des King bis zu seinen goldenen Schallplatten gibt es hier alles zu bewundern, was auch nur im Entferntesten mit Elvis zu tun haben könnte. Ein Besuch in Graceland ist nichts für schmale Brieftaschen. Der Eintritt kostet mindestens 60 Dollar.

Eine Reise durch die rauen Südstaaten ist nichts für Amerika-Anfänger, aber wer das Land der Freien und die Heimat der Tapferen wirklich kennen lernen möchte, sollte einmal in den tiefsten Süden abtauchen.

 

Einreise

Jeder Urlauber benötigt für die Einreise in die USA eine elektronische Reisegenehmigung (ESTA), die zuvor beantragt werden muss. Die Anmeldung erfolgt über die ESTA-Website (auch auf Deutsch), die Gebühr beträgt 14 USD und ist mit Kreditkarte zu bezahlen.

Flug

Es lohnt sich, größere Flughäfen (z.B.: Atlanta) anzufliegen. Je nach Reisezeit (und Zeitpunkt der Buchung) kosten die Flüge zwischen 500 und 2000 Euro. Etwas billiger wird es, wenn man einen Flug mit Zwischenstopp bucht. Die Flugdauer von Wien nach Atlanta beträgt zwischen elf und vierzehn Stunden.

Hotel

Ein Geheimtipp ist das „Shack Up Inn“ in Clarksdale. Wie bei vielen Gebäuden in den Südstaaten gilt: Nicht von der Fassade abschrecken lassen, sondern einen Blick ins Innere riskieren. Was von außen als abrissreife Blockhüttensiedlung daherkommt, bietet im Inneren eine einzigartige Blues-Atmosphäre. Gitarren, alte Blechschilder an den Wänden, verrostete Oldtimer im Vorgarten. Wer die Kultur des tiefen Südens, den Blues und den Rock‘n‘Roll sucht, ist hier richtig.

Sicherheit

Viele Städte haben schöne (und gut bewachte) Touristenviertel. Regel Nummer eins ist, die „No-go-areas“ zu kennen. Von diesen Stadtteilen hält man sich zumindest nachts besser fern. Besondere Vorsicht ist beim unangemeldeten Betreten amerikanischer Privatgrundstücke geboten. In den USA hat jeder das Recht, sich und sein Heim mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln – auch mit Waffengewalt – zu verteidigen. Wer also jemanden erschießt, weil er ihn für einen Einbrecher hält, muss meistens keine Strafe fürchten.

Unterwegs

Wer wenig Zeit hat oder übergewichtige Sitznachbarn mit Gefängnisvergangenheit scheut, sollte (online oder vor Ort) ein Auto mieten. Das Benzin ist günstig. Wer die Amerikaner besser kennen lernen möchte, sollte auf jeden Fall zumindest eine Strecke mit dem öffentlichen Fernverkehr zurücklegen. In den Bussen (www.greyhound.com) sollte man keine europäischen Standards erwarten.

 

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