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Dem Himmel recht nah

Von Jonathan Ponstingl, 13. Oktober 2018, 00:04 Uhr
Dem Himmel recht nah
In der Hauptstadt Tiflis trifft Tradition auf Moderne, orientalische auf europäische Kultur. Bild: colourbox

Noch erhält sich Georgien, Gastland der Frankfurter Buchmesse, den Status des kleinen kaukasischen Juwels, das Touristen anzieht.

Georgien ist die Geburtsstätte des Weins", sagt Aram Geliaschwili. Seit 8000 Jahren bauen die Georgier Wein an, Arams eigene Wein-Boutique ist gerade einmal zwei Wochen alt. Eine gewundene Treppe im Herzen der Tifliser Altstadt führt hinab in den steinernen Keller. Auf den schwarzen Holzregalen an den Wänden reihen sich Erzeugnisse georgischer Rebsorten.

"Keine Massenware", stellt Aram klar. "Familienweine sind in Georgien sehr wichtig." Sein Vater führte ihn einst in den Weinanbau ein, heute keltert er seine eigenen Tropfen. Nach alter georgischer Quevri-Methode, versteht sich: in Tonkrügen gelagert, die in der Erde vergraben werden. In der Weinhandlung mit angeschlossenem Schankraum stehen fein polierte Holztische, aus einem an der Decke befestigten Flachbildfernseher plätschern die Klänge amerikanischer Popmusik. Traditionell hergestellte Weine treffen auf modernes Interieur.

Dieser Umstand setzt sich vor der Tür der Wein-Boutique fort. Tiflis befindet sich im Umbruch. In Rustaveli, dem Viertel unmittelbar neben der Altstadt, hält die Moderne Einzug. Glastürme recken sich in den Himmel, auf Hochglanz polierte Einkaufszentren bieten neben hippen Cafés internationale Markenware an. Daneben stehen runderneuerte Bauten aus dem 18. Jahrhundert. Die Restaurierung der prächtigen Altstadt ist nur eine von vielen Investitionen, die Tiflis bereitmachen soll für die Touristenscharen, die da kommen mögen. Die Pflastersteingassen sind fein säuberlich gepflegt, eine Seilbahn bringt Touristen hinauf zur alles überstrahlenden Narikala-Festung, und die zahlreichen Kirchen finden sich im Zentrum großer Lichtkegel wieder – Georgien reklamiert für sich, das zweitälteste christliche Land der Erde zu sein. An jeder Ecke werben Reiseveranstalter um Touristen. Kamen 2011 noch 2,8 Millionen Besucher, waren es 2016 bereits über sechs Millionen – Tendenz steigend. Noch erhält sich Georgien den Status des kleinen kaukasischen Juwels, gerade einmal vier Millionen Einwohner zählt das Land. Vom übermächtigen Nachbarn Russland kommen bereits zahlreiche Besucher, nun sollen die Europäer folgen.

Dem Himmel recht nah
Blick von der Narikala-Festung in Tiflis Bild: Ponstingl

Georgien ist eine alte Kulturlandschaft, und noch immer sind sich nicht alle Georgier einig, welcher Kontinent sie prägt. Geografisch ist die Region südlich des großen Kaukasus ein Teil Asiens; Vorderasien, um genau zu sein. Das vergangene Jahrhundert war bestimmt von den Einflüssen der Sowjetunion, insbesondere die junge Generation ist sich aber sicher: Georgien ist ein Teil Europas. "Wir sind in erster Linie Kaukasier", sagt die Tifliser Politikstudentin Ina Dzimiti, die wie viele ihrer Kommilitonen in der Tourismusindustrie jobbt. "Aber unsere Kultur ist europäisch." Die Politik gibt ihr recht. Präsident Giorgi Margwelaschwili hat den Kuschelkurs seines Vorgängers Michail Saakaschwili mit der Europäischen Union zwar reduziert, dennoch bleibt Europa Georgiens wichtigster Verbündeter. Georgiens junge Bevölkerungsschicht möchte sich lösen vom übermächtigen Nachbarn Russland. Der Tourismus soll helfen.

Tradition im Bäderviertel

Allen Modernisierungsmaßnahmen zum Trotz ist die Tradition im Bäderviertel Abanotubani greifbar. Der Name Tiflis bedeutet auf Deutsch in etwa warm, und diese Wärme begründete einst die Stadt am Fluss Kura. Am östlichen Ende der Altstadt qualmt es aus steinernen Rundbauten, Leuchtreklamen mit den Aufschriften No 5, King Bath und Royal Bath flimmern über den Platz. In den orientalisch anmutenden Bädern tummeln sich Einheimische ebenso wie Touristen. Die Aufmachung erinnert an ein türkisches Hamam. Georgier tauchen in die öffentlichen Bäder ein, während Besucher vor allem in die Séparées strömen und sich einer Stunde dem faulen Gestank des Schwefels hingeben. Schmerzen lindern und den Geist befreien soll das warme Tiefenwasser. Auf einer steinernen Liege schabt ein Masseur mit einem groben Handschuh die alte Haut von den Körpern gestresster Geschäftsleute und müder Touristen. Hier fühlt man sich doch eher im Orient denn in Europa.

Ausflug zum ältesten Kloster

Außerhalb der Hauptstadt verblasst die Moderne. Lasha Kharaishvili ist Taxifahrer und steuert einen ramponierten russischen Lada über den schwindenden Asphalt, vor ihm knattern altersschwache Trabis, an den Straßenrändern reihen sich verfallene Sowjetbauten und poröse Wassertanks. Immer wieder muss Lasha auf die Gegenfahrbahn wechseln, um Schlaglöchern auszuweichen, oder anhalten, um querende Schafherden vorüberzulassen. Er steuert den Lada auf eine sandige Piste, die zu einem der schönsten Ausflugsziele außerhalb Tiflis’ führt: Dawit Garedscha.

Dem Himmel recht nah
Das Kloster Dawit Garedscha ist das älteste des Landes. Bild: Ponstingl

Das georgisch-orthodoxe Kloster ist das älteste des Landes und war im vierten Jahrhundert Ausgangspunkt der nordkaukasischen Christianisierung. Syrische Mönche schlugen an dieser Stelle im Mittelalter Höhlen in den Basalt, noch heute zieren religiöse Fresken die Decken der einstigen Schlafstätten. Trotz des touristischen Höhepunktes ist die Besiedlung hier an der Grenze zu Aserbaidschan nur spärlich, gut die Hälfte der Häuser am Wegesrand wirkt verlassen. "Viele Menschen ziehen in die Städte", sagt Lasha. Insbesondere die Jungen können den Lockrufen der städtischen Möglichkeiten nicht widerstehen, es warten Arbeitsplätze und durch den massiven Ausbau touristischer Infrastruktur in Städten wie Tiflis oder dem Seebad Batumi ein ungleich modernerer Lebensstil.

Ein Geschenk Gottes

Nicht zuletzt die zahlreichen Klöster und Kirchen belegen: Der Bezug zu Gott ist in Georgien wichtig. Auch im Gründungsmythos fehlt er nicht: Am Anfang schuf Gott die Erde und forderte alle Völker auf, zu ihm zu kommen, damit er ihnen ein Stück Land zuteilen könne. Die Georgier aber saßen bei einem Glas Wein beisammen und verspäteten sich. Als sie zu Gott gelangten, war bereits alles Land verteilt. Zunächst war Gott erzürnt, als er aber die lebensfrohen und ausgelassenen Georgier sah, schloss er sie in sein Herz und schenkte ihnen das Stückchen Erde, dass er eigentlich für sich reserviert hatte. Deshalb leben die Georgier heute im schönsten Land der Welt. Dieses Glück teilen die Georgier gerne, kaum ein Land hat Gastfreundlichkeit derart in seiner Kultur verankert. "Gäste sind Geschenke Gottes", sagt Aram und schenkt noch einen Tschatscha nach; einen georgischen Tresterbrand – aufs Haus, versteht sich.

Dem Himmel recht nah
Gott ist den Georgiern wichtig, was zahlreiche Kirchen – hier die Dreifaltigkeitskirche – unterstreichen. Bild: Ponstingl

Wer nach Georgien reist, sollte sich über eines im Klaren sein: Diät macht man hier nicht. Aram ist begeistert von den ersten europäischen Gästen seiner jungen Wein-Boutique und lässt es sich nicht nehmen, sie zu seinem Lieblingsrestaurant in der Altstadt mitzunehmen. "Im Pasanauri servieren sie die besten Khinkali der Stadt." Die Bedienung tischt Teigtaschen auf, gefüllt mit Fleisch, Pilzen, Kartoffeln und Käse. Sie sind ebenso günstig wie üppig. Ob wohl noch Platz für ein Khachapuri wäre, gefülltes Brot mit Schinken und Käse? Besser nicht.

Nicht nur im Gründungsmythos, auch aus geologischer Perspektive ist Georgien dem Himmel recht nah. Zwei Drittel des Landes sind Berglandschaft, im Norden grenzen die über 5000 Meter hohen Berggipfel des großen Kaukasus das Land von Russland ab. Dieses natürliche Hindernis ist auch ein Grund für die geostrategische Bedeutung der kleinen Kaukasusrepublik. Seit jeher ist Georgien Spielball weltpolitischer Großmächte, und so ist auch die ältere Generation des Landes vom Einfluss des großen Nachbarn im Norden geprägt; sie spricht eher Russisch als Englisch. Zu Zeiten der Sowjetrepublik war Georgien sowjetische Peripherie. Im Süden erhebt sich der kleine Kaukasus. Dazwischen liegt das georgische Plateau, eine von Vulkanen und Plattentektonik geschaffene Hochebene, auf der auch Tiflis liegt und die Georgien seit jeher zum Grenzgänger gemacht hat. Seit Jahrtausenden ist Georgien ein Transitraum. Tiflis liegt an alten Handelswegen zwischen Asien und Europa, Ausläufern der Seidenstraße. Einfälle der Perser, Mongolen, Osmanen und Russen haben ihre kulturellen Spuren hinterlassen, und heute ist Georgien ein ethnisch stark diversifiziertes Land. Hier leben Georgier, Aseri, Armenier, Russen, Osseten, Kurden und Jesiden. Dass dieses kulturelle Gemisch nicht immer friedlich bleibt, zeigen die beiden Konfliktregionen Südossetien und Abchasien sowie der russisch-georgische Krieg 2008.

Multikulturelles Tiflis

In der Hauptstadt leben die verschiedenen Kulturen derzeit friedlich nebeneinander. "Tiflis ist eine multikulturelle Stadt", sagt auch Aram "Ich habe Glück, hier geboren zu sein." Was er am meisten schätzt? "Die Architektur." Aram zeigt auf einen Balkon über ihm. Vor allem in der Altstadt ragen ausladende Balkone in die Gassen, häufig gestützt von abenteuerlichen Holzkonstruktionen. "Das ist der Einfluss aus Byzanz", ist sich Aram sicher und erinnert an die mediterran anmutenden Häuser an der Abbruchkante des Flusses Kura. Viele dieser Gassen mit ihren malerischen Altstadt-Balkonen werden derzeit restauriert. "Wir haben gerade erst angefangen", sagt Aram. Die touristische Entwicklung ist in vollem Gange. Tifliser wie Aram und Ina fühlen sich kulturell Europa zugehörig, möchten sich aber nicht in eine einzige Schublade quetschen lassen. "Georgien ist ein Fenster zwischen Asien und Europa, eine eurasische Straßenkreuzung", sagt Ina.

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