Polizei leitete wegen Downing-Street-Partys Ermittlungen ein
LONDON. Der britische Premierminister Boris Johnson gerät immer stärker unter Druck. Wegen Partys in den vergangenen zwei Jahren, bei denen mutmaßlich Corona-Auflagen missachtet wurden, leitete die Londoner Polizei am Dienstag Ermittlungen ein.
Sie könne bestätigen, dass entsprechende Untersuchungen aufgenommen würden, sagte Scotland-Yard-Chefin Cressida Dick. Widersprüchliche Botschaften gab es am Dienstag zum internen Untersuchungsbericht der Regierung zu den Feiern.
Zunächst hieß es, der ursprünglich in dieser Woche erwartete Bericht der Spitzenbeamtin Sue Gray werde sich durch die Ermittlungen der Polizei verzögern, wie ein Regierungsmitglied im Unterhaus sagte. Der Sprecher von Premierminister Boris Johnson sagte vor Journalisten, es könnten zunächst nur Teile des Berichts veröffentlicht werden, die nicht Gegenstand der Polizei-Ermittlungen seien. Später berichteten mehrere Medien, der Bericht könne nun doch noch vollständig in dieser Woche an die Öffentlichkeit gelangen. Nach Informationen des "Mirror" und des ITV-Reporters Robert Peston könnte die Veröffentlichung am Mittwoch erfolgen.
Johnson begrüßte Ermittlungen
Der Premier selbst begrüßte die Ermittlungen der Polizei. "Ich glaube, das wird der Öffentlichkeit die Klarheit geben, die sie braucht, und dabei helfen, einen Schlussstrich zu ziehen", sagte Johnson im Parlament. Ein Sprecher hatte zuvor betont, Johnson werde vollumfänglich kooperieren.
Der britische Premier steht seit Wochen wegen Berichten über mutmaßlich illegale Partys in seinem Amtssitz massiv unter Druck. Laufend gibt es neue Enthüllungen über Feiern. Ihm droht ein Misstrauensvotum.
Die Ermittlungen der Polizei stellen eine neue Eskalationsstufe in der "Partygate"-Affäre dar. Andererseits könnten sie Johnson Luft verschaffen, wie unter anderem der ITV-Korrespondent Paul Brand kommentierte. "Es kauft ihm Zeit und lässt Erinnerungen verblassen", schrieb Brand auf Twitter.
Johnson entschuldigte sich zuletzt wiederholt für diverse Partys und mögliche Fehleinschätzungen - auch bei Königin Elizabeth. Die Enthüllungen haben die Zustimmungswerte für den Premier und für seine Konservative Partei einbrechen lassen. Dem Premierminister schlägt auch aus den eigenen Reihen immer mehr Gegenwind entgegen. Eine parteiinterne Revolte konnte Johnson kürzlich abwehren. Es kamen nicht genügend Stimmen zusammen, um innerhalb der Konservativen Partei im Parlament die Vertrauensfrage zu stellen. Doch die Rufe nach einem Rücktritt verhallen nicht. Mit einem freiwilligen Abgang Johnsons wird allerdings kaum gerechnet.
Zuletzt hatte der Fernsehsender ITV berichtet, Johnson habe im Juni 2020 in seinem Amtssitz 10 Downing Street in größerer Gesellschaft Geburtstag gefeiert. Private Treffen in Innenräumen waren damals nicht erlaubt. Die Regierung dementierte den Bericht vom Montag im Grundsatz nicht.
Hohn und Spott vieler Medien
Die Reaktionen in den Dienstagsausgaben der Zeitungen auf die jüngste enthüllte Party waren verheerend. Viele Zeitungen nahmen ein Foto Johnsons mit einer Geburtstagstorte auf die Titelseite. Die "Sun" titelte spöttisch "You can't have your birthday cake...and eat it, Boris" - eine Anspielung auf ein englisches Sprichwort, das ins Gegenteil verwandelt als Johnsons Motto gilt. Im Original bedeutet es: Man kann einen Kuchen nicht essen und gleichzeitig für später aufbewahren. Besonders während der Brexit-Verhandlungen war Johnson aber offenkundig der Meinung, er könne das sehr wohl - und wollte die Vorteile der EU-Mitgliedschaft trotz Austritts gerne behalten. In Brüssel wurde das als Rosinenpicken bezeichnet und abgeblockt. Für Spott sorgte auch, dass Johnson zu Beginn der Pandemie immer wieder betont hatte, man solle sich so lange die Hände waschen, bis man zweimal "Happy Birthday" gesungen habe.
Bei der angeblichen Feier am 19. Juni 2020 zu Johnsons 56. Geburtstag soll seine heutige Frau Carrie dem ITV-Bericht zufolge "Happy Birthday" als Ständchen angestimmt haben. Neben der Torte soll es auch ein Picknick mit Leckereien einer bekannten Kaufhaus-und Feinkostkette gegeben haben. Auch die Designerin Lulu Lytle, die damals für viel Geld die Dienstwohnung der Johnsons renovierte, soll dabei gewesen sein. Später seien mehrere Familienmitglieder zu einer privaten Feier in der Wohnung der Johnsons gewesen.
"Er muss gehen"
Eine Regierungssprecherin bestritt den Bericht über die Zusammenkunft nicht, wertete sie aber trotz anhaltender Kritik daran nicht als Party, sondern als kurzes Treffen von Mitarbeitern im Anschluss an eine Besprechung, um dem Premier zu gratulieren. Johnson sei weniger als zehn Minuten dabei gewesen. Insgesamt habe das Event nur 20 bis 30 Minuten gedauert. Den Bericht über Gäste in der Dienstwohnung wies die Sprecherin als "komplett unwahr" zurück. Johnson habe lediglich eine kleine Gruppe von Familienmitgliedern im Freien empfangen.
Oppositionschef Keir Starmer von der Labour Party kritisierte die Regierung als "chaotisch und steuerlos" und forderte zum wiederholten Mal Johnsons Rücktritt. "Er muss gehen", bekräftigte Starmer.
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Man wird sehen, was die Ermittlungen ergeben.