Lade Inhalte...
  • NEWSLETTER
  • ABO / EPAPER
  • Lade Login-Box ...
    Anmeldung
    Bitte E-Mail-Adresse eingeben
    Bitte geben Sie Ihre E-Mail-Adresse oder Ihren nachrichten.at Benutzernamen ein.

gemerkt
merken
teilen

Die Sicherungshaft

Von Roman Sandgruber, 09. März 2019, 00:04 Uhr
Die Sicherungshaft
Bild: APA/

Kafkas Roman ist eine bitter-surreale Abrechnung mit dem, was als Sicherungshaft, Vorbeugungshaft (...) diskutiert wird.

Jemand musste Josef K. verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet." Das ist der Anfangssatz von Franz Kafkas 1914 begonnenem und nie zu Ende geschriebenem Roman "Der Prozess". Zwei Herren klopfen an: "Sie dürfen nicht weggehen, Sie sind ja verhaftet." "Es sieht so aus", sagt K.: "Und warum denn?", fragt er dann. "Wir sind nicht dazu bestellt, Ihnen das zu sagen. Gehen Sie in Ihr Zimmer und warten Sie. Das Verfahren ist nun einmal eingeleitet, und Sie werden alles zur richtigen Zeit erfahren."

Kafkas Roman ist eine bitter-surreale Abrechnung mit dem, was als Sicherungshaft, Schutzhaft, Vorbeugungshaft oder Präventivhaft diskutiert wird, ob auf Verdacht, als Prävention, zum Schutz der Allgemeinheit oder zur Beruhigung einer kochenden Volksseele. 1925 ist das Fragment nach dem Tod des Autors erstmals veröffentlicht und 1933 gleich wieder verboten worden. Kafka wurde als Erzeuger von "schädlichem und unerwünschtem Schriftgut" in die Liste verbotener Autoren aufgenommen. Seine Werke fielen wie viele andere den Bücherverbrennungen zum Opfer. Auch während der Herrschaft der Kommunisten in seiner Heimat Tschechoslowakei blieb er weiter auf der Verbotsliste.

Man kann den Roman als surreale Kritik an der Behördenmentalität der Habsburgermonarchie lesen, aber auch als düstere Vorausahnung dessen, was an Unvollkommenheiten der Rechtsprechung in der Ersten Republik und insbesondere bei der tätigen Mithilfe der Rechtsprechung an den Verbrechen der Nationalsozialisten noch kommen würde. Die Helfershelfer belehren K.: "Wollen Sie Ihren großen, verfluchten Prozess dadurch zu einem raschen Ende bringen, dass Sie mit uns, den Wächtern, über Legitimation und Verhaftbefehl diskutieren? Wir sind niedrige Angestellte, die sich in einem Legitimationspapier kaum auskennen und die mit Ihrer Sache nichts anderes zu tun haben, als dass sie zehn Stunden täglich bei Ihnen Wache halten und dafür bezahlt werden." Man wüsste, dass die hohen Behörden, in deren Dienst sie stünden, ehe sie eine solche Verhaftung verfügen, sich sehr genau über die Gründe der Verhaftung und die Person des Verhafteten unterrichten. "Es gibt darin keinen Irrtum." Doch nicht nur die k.u.k. Bürokratie arbeitete quälend langsam: Ein "echter Freispruch", erfährt K., sei zu seinen Lebzeiten noch nie vorgekommen. Es gebe nur die "scheinbare Freisprechung" und die "Verschleppung".

Das Ende des Romans ist so düster wie sein Anfang. Es gibt kein Urteil. Zwei namenlose Herren, bleich, fett, in schwarzen Anzügen und hohen Zylinderhüten, führen Josef K. zu einem Steinbruch. Sie lehnen ihn an einen Stein, der eine hält ihn fest, und der andere durchbohrt ihm mit einem Fleischermesser das Herz. "Wie ein Hund!" sind K.s letzte Worte.

 

Roman Sandgruber ist emeritierter Professor für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte an der Johannes Kepler Universität Linz. 

Mehr zum Thema
mehr aus Oberösterreich

Kinderpornos: Zahl der Fälle bei der Online-Meldestelle hat sich verdoppelt

24.4.2024: Ein beliebtes Datum, um "Ja" zu sagen

Wohin die abgängigen Flüchtlingskinder verschwinden

Umfrage: 70 Prozent der JKU-Studierenden arbeiten nebenbei

Interessieren Sie sich für dieses Thema?

Mit einem Klick auf das “Merken”-Symbol fügen Sie ein Thema zu Ihrer Merkliste hinzu. Klicken Sie auf den Begriff, um alle Artikel zu einem Thema zu sehen.

Lädt

info Mit dem Klick auf das Icon fügen Sie das Schlagwort zu Ihren Themen hinzu.

info Mit dem Klick auf das Icon öffnen Sie Ihre "meine Themen" Seite. Sie haben von 15 Schlagworten gespeichert und müssten Schlagworte entfernen.

info Mit dem Klick auf das Icon entfernen Sie das Schlagwort aus Ihren Themen.

Fügen Sie das Thema zu Ihren Themen hinzu.

2  Kommentare
2  Kommentare
Neueste zuerst Älteste zuerst Beste Bewertung
Selten (13.716 Kommentare)
am 09.03.2019 10:40

Sicherungshaft kafkaesk?/2

Daher bin ich für eine zeitlich begrenzte, automatisch durch Zeitablauf endende gesetzliche Ermächtigung zur Sicherungshaft mit nachfolgender richterlicher Entscheidung binnen Frist in Analogie zur unmittelbaren verwaltungsbehördlichen Befehls- und Zwangsgewalt, bei der der Bescheid wegen der Dringlichkeit auch erst im Nachhinein ergeht.

Diese Regelung soll idealerweise mit der Wiedereinführung nahtloser Grenzkontrollen einhergehen und nur auf jene Fremden angewendet werden dürfen, die zuvor nach Österreich gekommen sind.

Frage an Prof Sandgruber:

Hat BM Brandstetter, ehe er sich in höchste Richterwürden verabschiedete, dem vernichtenden Befund der Brunnenmarkt-Untersuchungskommission noch sinnvolle Konsequenzen folgen lassen?

lädt ...
melden
antworten
Selten (13.716 Kommentare)
am 09.03.2019 10:39

Sicherungshaft kafkaesk?/1

Mir sind sowohl Kafkas Prozess als auch das B-VG sowie auch die meisten anderen Gesetze in Verfassungsrang bestens bekannt.

Natürlich sehe ich ein Dilemma.

Geht es doch darum abzuwägen zwischen prophylaktischem Freiheitsentzug einerseits und Verhinderung der Verwirklichung konkreter schwerwiegender Gefahren für Einzelne und die gesamte Gesellschaft andererseits – und darüber hinaus auch um das Durchbrechen einer Schranke, das den Weg zu Willkür freigeben könnte.

Der Status quo:

Häufung amtsbekannter Einzelfälle,
offensichtliche Unmöglichkeit rascher und effektiver Behördenzusammenarbeit sowohl national als auch €U-weit, weitgehend formfreie massenweise Aufnahmen, teilweise inklusive auch ziemlich formfreier Staatsbürgerschaftsverleihungen, problematische Doppelstaatsbürgerschaften, …

lädt ...
melden
antworten
Aktuelle Meldungen