Lade Inhalte...
  • NEWSLETTER
  • ABO / EPAPER
  • Lade Login-Box ...
    Anmeldung
    Bitte E-Mail-Adresse eingeben
    Bitte geben Sie Ihre E-Mail-Adresse oder Ihren nachrichten.at Benutzernamen ein.

gemerkt
merken
teilen

Vom Prager Frühling zum russischen Winter

Von Roman Sandgruber, 18. August 2018, 00:05 Uhr
Vom Prager Frühling zum russischen Winter
6000 Panzer und 750.000 Mann waren an der militärischen Intervention beteiligt. Bild: CIA

Vor 50 Jahren wurde die Reformbewegung in der Tschechoslowakei von Truppen der Warschauer-Pakt-Staaten gewaltsam beendet.

Die Achter-Jahre sind nicht nur für Österreich, sondern mehr noch auch für Tschechien zu zentralen Wendepunkten und Katastrophenjahren geworden: 1618 der sogenannte zweite Prager Fenstersturz, mit dem der für die böhmischen Länder so verhängnisvolle Dreißigjährige Krieg eingeleitet wurde, 1848 die für Böhmen besonders tragische Niederschlagung der Prager Revolution, 1918 das Kriegsende, das zwar die Gründung der Tschechoslowakischen Republik, aber keine Lösung der nationalen Frage brachte, 1938 das Münchner Abkommen, das die Zerschlagung und Besetzung der Republik einleitete, 1948 die kommunistische Machtübernahme und der oft als dritter Fenstersturz bezeichnete und bis heute unaufgeklärte Tod des regimekritischen Außenministers Jan Masaryk und schließlich 1968, als in der Nacht vom 20. auf den 21. August 1968 Truppen der Warschauer-Pakt-Staaten jene Reformbewegung gewaltsam beendeten, die als Prager Frühling zum Begriff geworden ist.

Das Jahr der Gewalt

1968 war ein Jahr der Gewalt: Robert F. Kennedy und Martin Luther King wurden ermordet, der Vietnamkrieg erreichte seinen Höhepunkt und die heute von Alt- und Jung-68ern so nostalgisch erinnerte Studentenbewegung brachte den Terror der "Roten Armee Fraktion" und andere Gewalttaten hervor. Ob Alexander Dubceks Kommunismus oder Sozialismus "mit menschlichem Antlitz" und der von den Reformkommunisten propagierte "dritte Weg" zwischen Kommunismus und Kapitalismus tatsächlich gangbar gewesen wäre und wirkliche Freiheit und sozialen Wohlstand gebracht hätte, konnte nicht unter Beweis gestellt werden. Die brutale Gewalt der "Bruderstaaten" beendete ihn frühzeitig.

Vom Prager Frühling zum russischen Winter
Das Plakat richtete sich an die Invasoren: „Geht nach Hause, unsere Kinder haben Angst vor euch!“ Bild: Schweizerisches Sozialarchiv

Das am 27. Juni 1968 durch den Schriftsteller Ludvík Vaculík und weitere 67 tschechische Intellektuelle, Schriftsteller und Künstler veröffentlichte "Manifest der 2000 Worte" brachte für die Sowjetunion das Fass zum Überlaufen. Die endgültige Entscheidung für ein gewaltsames Vorgehen fiel am 15. Juli 1968 bei einem Treffen der fünf "Bruderstaaten", UdSSR, Bulgarien, DDR, Polen und Ungarn, in Warschau. Die schärfsten Agitatoren waren die Parteichefs Bulgariens und der DDR, die um ihre eigene Machtbasis fürchten mussten. Strikt gegen ein Eingreifen waren Rumänien, Jugoslawien und Albanien. Als Zeichen der Solidarität mit den Prager Reformern stattete vom 9. bis 11. August der jugoslawische Staatspräsident Tito der CSSR einen Besuch ab, am 16. August kam Rumäniens Nicolae Ceausescu. Albanien ging seinen eigenen Weg, trat aus dem Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe aus und verfolgte einen an China angelehnten Steinzeitkommunismus. Der mit Moskau verfeindete Mao Tse-Tung konnte sich überhaupt zurücklehnen. Es gab für ihn in jedem Fall Vorteile: Wäre die Tschechoslowakei aus dem kommunistischen Verband ausgeschieden, hätte man Moskau dafür verantwortlich machen können. Und bei einem gewaltsamen Eingreifen konnte man erst recht dem "imperialistischen" Moskau dafür die Schuld zuweisen.

Am 17. August beschloss das Politbüro des Zentralkomitees der KPdSU einstimmig die militärische Intervention, die in der Nacht vom 20. auf den 21. August von Truppen Bulgariens, Ungarns, Polens und der Sowjetunion unter dem Decknamen "Donau" begonnen wurde. Auf die Mitwirkung der DDR wurde verzichtet, um nicht böse Erinnerungen an 1938/39 wach werden zu lassen. 750.000 Mann und 6000 Panzer waren beteiligt, unter stiller Duldung der USA und mit machtlosem Wegschauen Frankreichs und Großbritanniens. Die Invasion, die auf keinen militärischen Widerstand traf, kostete 72 Menschen das Leben. 266 wurden schwer verletzt.

Den Einmarsch verschlafen

Österreichs Politiker hatten die Brisanz der Lage völlig falsch eingeschätzt und den Einmarsch buchstäblich verschlafen, meint Stefan Karner, Österreichs bester Kenner der Geschichte der kommunistischen Staaten. Als die Panzer in der Nacht vom 20. auf den 21. August 1968 auf Prag und Preßburg zurollten, waren alle maßgeblichen Vertreter der österreichischen Staats- und Heeresspitze auf Urlaub, obwohl der Nachrichtendienst des Verteidigungsministeriums seit langem über Interventionspläne und sichtbare Hinweise informiert hatte. Bundeskanzler Klaus urlaubte in einem telefonlosen Haus im Tullnerfeld. Als ihm in aller Herrgottsfrühe ORF-Generalintendant Gerd Bacher, nur im Pyjama und mit einem in aller Eile übergestreiften Mantel bekleidet, die Nachricht überbringen wollte, begegnete er dem damaligen Sekretär Klestil, der den Kanzler bereits aus seiner telefonlosen Einöde geholt hatte.

Österreichs Staatsspitze verhielt sich sehr zurückhaltend. Nicht nur die Anweisung des damaligen Außenministers Kurt Waldheim, CSSR-Bürgern keine Visa auszustellen, sondern auch, dass Bundeskanzler Josef Klaus den Einmarsch nicht verurteilte und die heimischen Truppen 30 Kilometer Abstand von der Grenze halten ließ, erregte die öffentliche Meinung, die klar aufseiten der Reformer stand. War es die Angst, in die Auseinandersetzungen hinein zu geraten, war es die Sorge um den erst kurz zuvor mit der Sowjetunion abgeschlossenen Gasliefervertrag, war es die Angst vor Flüchtlingsmassen? Angesichts der zahnlosen Haltung der Großmächte wird man der österreichischen Regierung kaum Vorhalte machen können. Aus der Reihe fiel bloß der damalige österreichische Gesandte in Prag und spätere Bundespräsident Rudolf Kirchschläger, der auf eigene Verantwortung die Ausfertigung von Visa für Tausende Bürger der CSSR veranlasste, was aber insofern ohne Risiko blieb, weil die neuen Machthaber froh waren, Kritiker aus dem Lande zu haben.

210.000 auf der Flucht

Von 21. August 1968 bis im Herbst 1969 kamen laut Schätzung des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgenforschung rund 210.000 Personen als Flüchtlinge, teils über die Grenze, teils von ihren Urlaubsdestinationen in Ungarn, Jugoslawien und am Schwarzen Meer nach Österreich. Zigtausende Menschen wurden in Zeltlagern untergebracht. In Wien, das mit 90 Prozent der Übernachtungen die Hauptlast der Erstversorgung zu tragen hatte, wurden Notunterkünfte im Überschwemmungsgebiet der Donau, auf Campingplätzen, in Heimen von Hilfsorganisationen, in Lagerhäusern und Turnsälen bereitgestellt. Angesichts der bedrängten Lage versuchte man, die Flüchtlinge so schnell wie möglich zur Auswanderung zu bewegen. Viele Staaten zeigten Solidarität und hatten auch Interesse an den tschechoslowakischen Auswanderern, die jung und gut ausgebildet waren. Zu den Hauptaufnahmeländern gehörten Kanada, Australien, Südafrika, die USA und die Schweiz. Manche wie Karel Krautgartner, Zdeněk Mlynář oder Pavel Kohout blieben auch in Österreich.

Prager Führung verhaftet

In der Tschechoslowakei begann unterdessen die sogenannte "Normalisierung". Die Prager Führung um Dubcek wurde verhaftet und nach Moskau gebracht. Dort wurde sie verpflichtet, die Reformen rückgängig zu machen und auf die sowjetische Linie einzuschwenken. Staatspräsident Antonin Svoboda, der zuvor als Held der Reformbewegung galt, fiel dort Dubcek in den Rücken: "Wenn er zurücktritt, wäre es für uns alle besser." Zuerst ließ man die Reformanhänger großzügig ausreisen, um sie zumindest nicht mehr im Land zu haben. Mitte Oktober 1969 wurde die Emigration gestoppt. Der Eiserne Vorhang fiel wieder herab. Dubcek musste abdanken. Die Medien wurden gleichgeschaltet. Jene, die sich nicht beugen wollten, verloren ihren Arbeitsplatz und wurden zu Fensterputzern, Heizern und Hilfsarbeitern degradiert. Viele verloren auch das Interesse an der Politik. Sie arrangierten sich mit dem System, gaben sich mit einem Wochenendhäuschen und einem Lada oder Škoda zufrieden und gingen in die innere Emigration.

23 Jahre blieben die sowjetischen Truppen im Land. Erst zwei Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, am 27. Juni 1991, verließ der letzte sowjetische Soldat das Land. Der Warschauer Pakt löste sich auf. 2006 räumte der russische Präsident Wladimir Putin für sein Land als Rechtsnachfolger der Sowjetunion zwar eine moralische Verantwortung ein, sagte aber: "Es gibt keine juristische Verantwortung und kann keine solche geben." Er hat noch genug andere Interventionen zu verteidigen.

mehr aus Spezial

Fit im Internet: Das Weiterbildungs-Event für alle, die sich für digitale Technologien interessieren.

Die Rückkehr der Wildtiere

Forum für pflegende Angehörige: Diskussion und Tipps zu Recht, Finanzen und Alltag

Ausgebucht! „Der Krieg in der Ukraine: Eine Spätfolge des Zerfalls der UdSSR und ein geopolitischer Konflikt.“

Lädt

info Mit dem Klick auf das Icon fügen Sie das Schlagwort zu Ihren Themen hinzu.

info Mit dem Klick auf das Icon öffnen Sie Ihre "meine Themen" Seite. Sie haben von 15 Schlagworten gespeichert und müssten Schlagworte entfernen.

info Mit dem Klick auf das Icon entfernen Sie das Schlagwort aus Ihren Themen.

Fügen Sie das Thema zu Ihren Themen hinzu.

17  Kommentare
17  Kommentare
Neueste zuerst Älteste zuerst Beste Bewertung
( Kommentare)
am 21.08.2018 15:20

Historisch wird für immer bleiben,
daß sich die Russen während ihrer Herrschaft
in den Staaten ihres Einflußbereiches
wahrlich keine Freunde gemacht haben.

Sie brauchen sich also nicht zu wundern,
wenn die betroffene Bevölkerung ihnen ablehnend gegen über steht.

Es ist halt allemal angenehmer, in den Zustand der Abhängigkeit
vom Sieger bewußtlos gestreichelt als geprügelt zu werden.

lädt ...
melden
antworten
primavera13 (4.190 Kommentare)
am 20.08.2018 07:46

Jetzt ist es mir klar. Die FPÖ hat aus der Geschichte "gelernt" und biedert sich weil Kickl und Strache so gerne Zäune haben, derart an Russland an, dass die widerliche Schleimspur schon in ganz Europa seh- und riechbar ist.

Dank Kurz und Strache ist Österreich in Europa isoliert, Wien hat in der EU keine Handschlagqualität mehr und auch die Brückenfunktion zwischen Ost und West ist wegen einer deutlichen Russenschlagseite nach nicht einmal einem Jahr Türkis-Blau flöten gegangen.

Das wird Österreich sehr viele Jobs kosten, denn mit Verrätern und Querulanten macht meine keine Geschäfte mehr. Diese Regierung ist nur eine Schande für Österreich.

lädt ...
melden
antworten
sol3 (13.727 Kommentare)
am 18.08.2018 09:14

Früher gewalttriefende Kommunisten, die jeden Gegner niedermetzelten.
Heute kommt Putin zu einer Hochzeit.

lädt ...
melden
antworten
jago (57.723 Kommentare)
am 18.08.2018 09:29

Die damaligen "Kommunisten" aus der Sowjetunion waren viel mehr Nationalisten als Kommunisten.

Auch den Putin treibt der russische Patriotismus an, allerdings ist er viel intelligenter als seine sowjetischen Vorgänger. Und gewiefter. Und nicht so stalinistisch gehandicapt.

lädt ...
melden
antworten
penunce (9.674 Kommentare)
am 18.08.2018 10:14

...und unter anderem hat er den Ausverkauf in der Ära Jelzin sofort beendet und gerade deshalb ist er zum "Feind" der Ami´s geworden.

lädt ...
melden
antworten
Harbachoed-Karl (17.883 Kommentare)
am 18.08.2018 11:32

Kampf der unter Ewiggestrigen ewigwährenden Verkürzung:
Im Sowjetreich gab es viele ordentliche, feinfühlende Menschen.
Putin ist kein anderer Diktator als Stalin.

lädt ...
melden
antworten
( Kommentare)
am 21.08.2018 15:38

Das würde ich aber schon als großen Fortschritt
im Umgang zwischen 2 Staaten,
den Siegern ?, Befreiern ? und Besiegten?, Befreiten?
vermerken.

Wir sollten uns aber weiter um eine Normalisierung bemühen.
Gute, persönliche Kontakte sind dabei bestimmt ein Vorteil.
Die Sanktionen sind dafür sicherlich nicht förderlich.

lädt ...
melden
antworten
Harbachoed-Karl (17.883 Kommentare)
am 18.08.2018 02:58

Das Tempo im Tullner Feld war auch noch ein anderes. Nächtens wurden einander begegnende Autos mit ihren Insassen erkannt.

lädt ...
melden
antworten
keinLehrer (928 Kommentare)
am 18.08.2018 00:38

Zur Richtigstellung für die GutmenschenInnen, GrünInnen und Rotinnen: Diese Leute blieben nur kurze Zeit in Österreich. Nach der Beruhigung der Lage gingen über 80% wieder zurück in ihr Heimatland. War auch richtig so. 18% wanderten nach Canada, USA und Australien aus. Die restlichen 2% haben sich sofort integriert . Es gab bei diesen Personen keine Messerstecher, Vergewaltiger und sonstige Übeltäter udgl. Also ein gewaltiger Unterschied zwischen den Hochschullehrern und Facharbeitern von 2015, oder den derzeitigen Wirtschaftsflüchtlingen, welche nur unser Steuergeld wollen und unsere Sicherheit gewaltig gefährden. Aber dies wollen unsere GutmenschenInnen, GrünInnen und RotInnen nicht in ihren Kopf bekommen..

rotinnen

lädt ...
melden
antworten
Harbachoed-Karl (17.883 Kommentare)
am 18.08.2018 02:57

Wir hattens gut - wir hatten kluge Lehrer, die nicht deppert daherschwafelten; die Flüchtlinge allerdings hatten die gleichen Probleme. Und viele blieben und sind oder waren angesehene Leute.

lädt ...
melden
antworten
jago (57.723 Kommentare)
am 18.08.2018 09:37

"unsere klugen Lehrer" und "unsere klugen Redakteure" haben uns (AUCH) mit einem Schaum voller Mangelinformation umgeben.

lädt ...
melden
antworten
Harbachoed-Karl (17.883 Kommentare)
am 18.08.2018 11:35

Tschego, so schauts aber aus. Und die Strafe dafür (für die verantwortlichen Politiker) sind die heutigen Wahlergebnisse, bestimmt von Leuten, die scheinbar nicht bis drei zählen können.

lädt ...
melden
antworten
Gerd63 (7.766 Kommentare)
am 18.08.2018 06:30

Warum müsst ihr immer betonen, dass die heutigen Flüchtlinge nur aus Messerstechern und Vergewaltigern bestehen?

Wäre sonst eure bescheuerte Flüchtlingspolitik zu durchschauen?

Nur zur Klarstellung:

Es ist kein Mensch an diesen gewalttätigen Personen interessiert.

Aber eure Pauschalurteile berauben Österreich eines enormen Arbeitskräftepotentials.

Sie sind jung, arbeits- und integrationswillig.

Betreibt ein bisschen Ahnenforschung.

Meistens beginnt es schon bei den Großeltern, die ausländische Wurzeln haben.

Und es ist nicht nur Sebastian Kurz, der Dank der Integrationsbereitschaft Österreichs hier Politik betreiben kann.

Er müsste sonst in Serbien Politik machen.

Bitte dies auch in eurem grenzenlosen Ausländerhass bedenken.

lädt ...
melden
antworten
Harbachoed-Karl (17.883 Kommentare)
am 18.08.2018 06:58

Den putin mögend ja eh

lädt ...
melden
antworten
jago (57.723 Kommentare)
am 18.08.2018 09:33

Und jetzt schreib dein posting noch einmal, ohne die Diskussionspartner als Dummerln zu bezeichnen. Mit viel Mühe geht das, probiers einmal! grinsen

lädt ...
melden
antworten
Gerd63 (7.766 Kommentare)
am 18.08.2018 11:06

Wenn damals auch so strenge Einwanderungsbestimmungen geherrscht hätten,

Wärst du jetzt in Russland und könntest dort Putin anhimmeln.

Ob du dann von seiner Vorgehensweise auch so überzeugt wärst,

Kann ich natürlich nicht beurteilen.

lädt ...
melden
antworten
Orlando2312 (22.305 Kommentare)
am 19.08.2018 08:11

"Es ist kein Mensch an diesen gewalttätigen Personen interessier....."

So ist es!!!

lädt ...
melden
antworten
Aktuelle Meldungen