Mit "Kraft durch Freude" rüstete das Stadttheater Steyr für den Kriegsalltag auf
STEYR. Judenhetze setzte der Intendant nicht auf den Spielplan, Heldenepen schon. Sein Sohn Helmut Pernegger vermacht den Nachlass der Stadt.
In vier Bananenschachteln verwahrt Helmut Pernegger die Fotoalben, feinsäuberlich in Bücher eingeklebte Zeitungsausschnitte und Programmhefte auf dem Dachboden: Es ist der Nachlass seines Vaters, der seinen Künstlernamen zu Hans Pernegger-Pernegg verdoppeln ließ und nach dem "Umbruch" 1938 vom Bad Haller Kurtheater als Direktor ans Stadttheater Steyr geholt wurde.
"Natürlich war er bei den Nazis", sagt sein Sohn ohne Umschweife, "wie wäre er das sonst geworden?" Auf der Homepage der Stadt ist bei der Vorstellung des 1793 gegründeten Alten Theaters die NS-Zeit zwischen 1938 und 1945 ein blinder Fleck. Weniger, weil man die braune Vergangenheit der Stadtbühne vertuschen wollte. "Wir haben zu wenig Quellen", sagt Stadtarchivar Raimund Locicnik. Das wird sich jetzt ändern. Denn Helmut Pernegger will alle Dokumente und Erinnerungsstücke seines Vaters dem Stadtarchiv vermachen, "damit geforscht werden kann."
Mit dem Einmarsch der deutschen Truppen im März 1938 hatten die Nazis auch über das Theater die Macht ergriffen. Nachdem das kleine Theater 13 Jahre "brachgelegen" war (allerdings hatten in den Notjahren die damals im Rathaus regierenden Sozialdemokraten angesichts hungernder Kinder in der Stadt andere Sorgen als die Pflege der Schauspielkunst), rüstete die NS-Gauleitung die Bühne in der Berggasse mit einem Ensemble von 40 fix angestellten Sängern und Schauspielern auf. Während das NS-Kreisblatt geiferte, dass "alles Krankhafte, Zersetzende und die Entartung Fördernde, mit dem Judentum und andere Fremdlinge unser Volk so lange vergifteten, aus unserem Kultur- und Geistesleben verschwinden wird", zeigen die Programmhefte, dass Pernegger-Pernegg sich um Normalität bemühte: Er ließ unverfängliche Klassik spielen, Goethe, Schiller, Grillparzer und auch Nestroy, und war bei den neuen, vom Regime geförderten Stücken eher ein Pflichterfüller.
Das Drama "Das Dorf bei Odessa", bei dem der Dorfsowjet einer deutschen Enklave in Todesverachtung allen Widrigkeiten angesichts der anrückenden Russen trotzt, krönte im Februar 1943 eine "Festwoche" zum 150-jährigen Theaterjubiläum. In dem Heldenepos spielte die spätere Filmschauspielerin Erika Petrick die Tochter "Mirza" und Gottfried Treuberg (siehe unten) den Dorflehrer. Der junge Bühnenautor Herbert Reinecker war als Schriftleiter der Reichsjugendführung und SS-Kriegsberichterstatter tätig, nach dem Krieg tauchte sein Name im Nachspann der "Derrick"-Krimis und Edgar-Wallace-Filme auf.
Über dem Theater, das in seinem Blütejahr laut Eigenangabe 100.000 Besucher gehabt haben soll, heulten bald die Sirenen des Krieges. Zwei Vorführtage in der Woche behielt sich die NSDAP für die "Kraft durch Freude" (KfD), den Freizeitbetrieb für Parteikader und Rüstungsarbeitskräfte, vor. 1942 verlor die Theatermuse an Bedeutung bei der Nazi-Bürokratie. Pernegger-Pernegg bekam immer weniger Ensemblemitglieder als "unabkömmlich" genehmigt. Buffo Hans Macho und Tenor Joachim Mokrohs wurden in der "Kriegsspielsaison 1942/43" eingezogen und im Programmheft als "eingerückt" vermerkt. 1944 wurde das Theater geschlossen.
Steyr: Erstes Theater Österreichs nach dem Kriegsende
Die Nerven flatterten, als Gottfried Treuberg in der russischen Kommandantur vorsprach und mit „Heil Hitler!“ grüßte. Die Russen verziehen dem Schauspieler die Unachtsamkeit, der als Intendant in der Jahnturnhalle in Ennsdorf dann am 22. Juni 1945 die erste Vorstellung des „Neuen Theaters Steyr“ mit der Operette
„Der fidele Bauer“ gab. Als die Amerikaner die gesamte Stadt übernahmen, verboten sie den Spielbetrieb. Doch dann wurden Treuberg die Schlüssel für das „Alte Theater“ ausgehändigt. Gemeinsam mit Ehefrau Trude Loreck, Hans Macho, Ludwig Miller spielte Treuberg im Ensemble bis 1949 und ging dann nach Wien. 1947 gab es ein Sommerfestival mit Freiluftaufführungen im Schlossgraben, das 7650 Besucher sahen.