May kämpft um ihren Brexit-Deal: "Ich bringe meine Arbeit zu Ende"
Britische Premierministerin musste sich innerparteilichem Misstrauensvotum stellen
Die Nachricht, dass sie sich einem innerparteilichen Misstrauensvotum stellen müsse, erreichte Theresa May kurz nachdem sie am Dienstagabend aus Brüssel zurückgekehrt war. Sir Graham Brady war am Telefon. Er ist Chef des "1922-Komitees", eines Ausschusses der Hinterbänkler der Konservativen Partei.
Er habe, teilte Sir Graham der britischen Premierministerin mit, von 48 Tory-Abgeordneten Briefe erhalten, in denen May das Vertrauen entzogen worden sei. Damit sei die Schwelle von 15 Prozent der Regierungsfraktion erreicht, die ein Misstrauensvotum auslöse. Sir Graham und May vereinbarten, dass diese Abstimmung so schnell wie möglich stattfinden sollte.
Gestern trat May vor die Tür ihres Amtssitzes und gab eine Erklärung ab. Sie werde "mit allem, was ich habe", gegen das Misstrauensvotum kämpfen. Mehr als 40 Jahre lang habe sie der Konservativen Partei gedient, sagte sie, und jetzt nicht die Absicht, davonzulaufen.
Kabinett geschlossen hinter May
Ein Wechsel in der Führung würde die Zukunft des Landes gefährden und Unsicherheit schaffen, "wenn wir es am wenigsten brauchen". Die britischen Bürger würden es nicht verstehen, "wenn wir uns jetzt auseinanderreißen". Sie habe einen Brexit-Deal verhandelt, der die Referendums-Entscheidung umsetze: "Ich stehe bereit, meine Arbeit zu Ende zu bringen."
Die Ankündigung löste eine Flut von Solidaritätsadressen aus. Das Kabinett versammelte sich geschlossen hinter ihr. Gesundheitsminister Matt Hancock erklärte, für May zu stimmen, und forderte "alle Kollegen auf, das Gleiche zu tun". May, meinte Außenminister Jeremy Hunt, sei die beste Person, um "sicherzustellen, dass wir tatsächlich die EU am 29. März verlassen". "Ein Kampf um den Parteivorsitz", twitterte der Schottland-Minister David Mundell, "ist das Letzte, was wir brauchen können."
Bis Mittag hatten sich mehr als 100 Tory-Abgeordnete öffentlich für May ausgesprochen. Auch in der Bevölkerung schien die Premierministerin Rückendeckung zu haben. Der Buchmacher "Betfair" meldete, dass sich Mays Wettquoten im Laufe des Vormittages rapide verbessert hätten: "Wir sehen eine Menge Unterstützung von Leuten, die ihr Geld auf sie setzen wollen."
Ihre Kritiker meldeten sich freilich auch zu Wort. Die Nachrichtensender waren für ihre Nonstop-Berichterstattung zum College Green, dem Park vor dem Parlament, gezogen und hatten dort ihre Kameras aufgebaut. Er habe, sagte Ex-Umweltminister Owen Paterson, schweren Herzens einen Brief an Brady geschickt. May habe sein Vertrauen verloren, weil sie beim Brexit "entschlossen ist, den falschen Kurs zu verfolgen, und traurigerweise an ihrem Deal festhält, der nicht durch das Unterhaus gehen wird."
Labour: "Eskalierende Krise"
Auch Bill Cash, der Veteran der Euroskeptiker, sagte in die Kameras, dass der Brexit-Deal "nicht im nationalen Interesse" liege und deshalb ein Kampf um die Führerschaft der Partei notwendig sei.
Labour-Chef Jeremy Corbyn verurteilte gestern "das fortschreitende Chaos im Zentrum der Regierung". Er forderte die Premierministerin auf, ihren Brexit-Deal zur Abstimmung zu stellen, und sprach von einer "eskalierenden Krise". Er werde sich jetzt überlegen, wann der beste Moment sei, einen parlamentarischen Misstrauensantrag zu stellen.
Die kaum lösbare Nordirland-Frage als größter Stolperstein
Die Briten sind heillos zerstritten darüber, wie sichergestellt werden soll, dass es zwischen der britischen Provinz Nordirland und Irland künftig keine „harte Grenze“ mit wiedereingeführten Kontrollen gibt. Ein Überblick:
Großbritannien und Nordirland bilden das Vereinigte Königreich. In der Provinz auf der irischen Insel leben 1,8 Millionen Menschen. Seit den 1960er-Jahren bekämpften sich irisch-katholische Nationalisten und protestantische Loyalisten, 3500 Menschen starben. Der Nordirland-Konflikt endete 1998 mit dem Karfreitagsabkommen. Es sichert neben der Aufteilung der Macht zwischen Protestanten und Katholiken einen reibungslosen Austausch zwischen dem Norden und dem Süden der Insel.
Irland und Nordirland haben eine 500 Kilometer lange gemeinsame Landgrenze. Während des Nordirland-Konflikts waren weite Teile durch Wachtürme, Stacheldraht und schwer bewaffnete Soldaten gesichert. Heute ist die Grenze kaum sichtbar. 30.000 Menschen pendeln täglich ohne Kontrollen über die Grenze zur Arbeit, Waren und Güter passieren sie zollfrei.
Das Vereinigte Königreich verlässt am 29. März 2019 die EU. Bis 31. Dezember 2020 bleiben Großbritannien und Nordirland in einer Übergangsphase Teil des EU-Binnenmarktes und der Zollunion. Ab 2021 würde dann aber eine EU-Außengrenze die Insel teilen.
Im Personenverkehr dürften die Brexit-Auswirkungen begrenzt bleiben. Einerseits ist Irland nicht Teil des Schengenraums. Daher finden schon heute Personenkontrollen bei der Reise auf den Kontinent statt. Problem ist die Wirtschaft. Denn ab 2021 müssten Zölle erhoben und die Einfuhr von Waren kontrolliert werden.
In der Übergangsphase bis Ende 2020 wollen die EU und Großbritannien die Nordirland-Frage über ein umfassendes Freihandelsabkommen klären. Wie diese Lösung aussehen könnte, ist offen. EU-Verhandlungschef Michel Barnier hat einige technische Möglichkeiten genannt, um die Kontrollen so „unsichtbar“ wie möglich zu machen. Dazu gehören im Voraus ausgefüllte Online-Zollerklärungen und das Scannen von Barcodes auf Lastwagen und Containern. Sollte die Zeit für eine Vereinbarung nicht ausreichen, kann die Übergangsphase bis Ende 2022 verlängert werden.
Ohne Verhandlungslösung würde spätestens ab 2023 eine im Austrittsvertrag vereinbarte Auffanglösung greifen. Der „Backstop“ sieht vor, dass das Königreich bis auf Weiteres in einer Zollunion mit der EU bleibt. Für Nordirland würden zudem Bestimmungen des EU-Binnenmarktes weiter gelten.
Die britischen Brexit-Hardliner stören drei Dinge: Der Backstop hat keine zeitliche Befristung, weshalb Großbritannien noch viele Jahre an die EU gebunden bliebe. Wegen der Zollunion könnte London zudem keine eigenen Handelsabkommen schließen. Und schließlich wären gewisse Kontrollen zwischen Nordirland und dem Rest des Königreichs nötig.
Für die EU ist der Backstop nicht verhandelbar. „Er ist notwendig“, betonte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Er stellte May lediglich „weitere Klarstellungen und weitere Interpretationen“ in Aussicht.
Der EU-Gipfel wird das Abkommen nicht abändern
Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel geht auch nach der Werbetour der britischen Regierungschefin Theresa May in mehreren europäischen Ländern nicht davon aus, dass der EU-Gipfel, der heute und morgen in Brüssel stattfindet, Änderungen am Brexit-Abkommen beschließen wird. „Wir haben nicht die Absicht, das Austrittsabkommen wieder zu verändern. Das ist die allgemeine Position der 27 Mitgliedsstaaten“, sagte Merkel gestern in Berlin.
Dort stellte sie sich zum zweiten Mal als Regierungschefin in einem besonderen Format den Fragen der Abgeordneten. „Insoweit ist jetzt nicht zu erwarten, dass wir hier mit irgendwelchen Veränderungen aus den Debatten hervorgehen“, betonte die Kanzlerin. Auf die Frage, was die Bundesregierung gegen die Verunsicherung der Bürger im Zusammenhang mit der Diskussion über einen ungeordneten Brexit tun könne, antwortete Merkel, sie könne den Menschen nur sagen: „Wir arbeiten hart dafür, dass es zu einem geordneten Brexit kommt.“
Vorbereitung auf den „No-Deal“
EU-Ratspräsident Donald Tusk will ein „No-Deal-Szenario“ zum Brexit vorbereiten, „da die Zeit knapp wird“. In seinem gestern verschickten Einladungsbrief für den EU-Gipfel schrieb er, dass die EU-Staats- und Regierungschefs zunächst der britischen Premierministerin May zuhören und im Anschluss im Kreis der EU-27 Schlussfolgerungen diskutieren wollen.
Außer dem Brexit soll auch über den nächsten mehrjährigen Finanzrahmen der EU für 2021 bis 2027 gesprochen werden.
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beim nächsten exit gehts schneller!
Wie denn jennes? Die EU ist die selbe.
athena
welchen ?
der lissabonvertrag sieht ja keine strafen vor für Sündiger ! und somit sind der EU die händen gebunden und daher nützen es einigen EU Mitglieder aus sich nicht an EU Vereinbarugen zu halten dass sie sowieso keine Sanktionen zu erwarten haben.
Man sollte sich als Grundlage erst einmal zumindest an dem CETA Handelsabkommen orientieren.
Das wäre eine Basis wo EU und GB in Zukunft aufbauen können.
Die Zeit der Muskelspiele sollte jetzt vorbei sein.
Nicht einmal diesen CETA Pakt hat die EU bis jetzt besiegeln können.
Warum sollte dieser "Bad Deal", den May jetzt den Briten schmackhaft machen soll funktionieren?
In den nächsten Monaten erst wird sich zeigen, ob es in der EU auch fähige Köpfe gibt jenseits von Dogmatik.
Wenns so einfach wäre, dann wärs ja einfach
Viele Köche verderben den Brei, noch dazu lauter eitle Regierungschefs, die daheim Parteichefs sind und ihre Parteifreunde mit Sitzen versorgen müssen vom Gemeinderat über den Landtag bis ins Parlament.
Da können hier im Forum die Patrioten-Faschisten maulen über und gegen die EU, besonders und gerade jetzt, wo sie ein Lüfterl von Erfolg gespürt haben, den sie dem Pfusch der vorhergehenden Regierer verdanken, nicht ihren Angewinselten.
Wir müssen unterscheiden zwischen dem Austrittsvertrag einerseits und einem Vertrag über die neue Beziehung anderseits.
Jetzt liegt ein verhandelter Austrittsvertrag vor, der je nach Lesart der "bestmögliche" oder einfach "appaling" ist. Wobei die Lesart auch von der Kenntnis des Vertragstextes abhängt. Jedenfalls wird damit die Güterteilung festgelegt & Zeit geschaffen für die Vereinbarung über das Neue.
Die grösste Schwierigkeit war und bleibt die Tatsache, dass die Mehrzahl der Briten (schliesst Politiker & Journalisten ein) weder weiss, wie die EU funktioniert, noch, was sie eigentlich wollen. Am konkretesten sind noch Aussagen wie "CETA++", wobei "+ = x" gilt. Nachdem "der Weg ist das Ziel" aber keine tragfähige Vereinbarung ergibt, muss das Ziel wohl auf dem Weg gefunden werden - und der ist mindestens so lang wie der nach Santiago di Compostela.