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"Um Demokratie musst du dich kümmern"

Von Helmut Atteneder, 21. November 2018, 00:04 Uhr
"Um Demokratie musst du dich kümmern"
Martin Pollack wird derzeit für seine Arbeit mit Preisen überhäuft. Bild: VOLKER WEIHBOLD

Der in Bad Hall geborene Schriftsteller Martin Pollack erhält morgen den Staatspreis für Kulturpublizistik

Martin Pollacks Leben ist unglaublich. Geboren am 23. Mai 1944 in Bad Hall als unehelicher Sohn des SS-Sturmbannführers Gerhard Bast, hineingeboren in eine braungesinnte Familie in Linz und Amstetten. Doch Pollack wurde anders. Seit vielen Jahren ist der Journalist, Schriftsteller und Übersetzer ein wortgewaltiger Mahner wider das Vergessen.

Seine eigene Vergangenheit ist stets gegenwärtig: In seinen biografischen Büchern "Anklage Vatermord", "Der Tote im Bunker" oder "Nach Galizien" hat seine Wurzeln bis in die Spitzen erforscht und nachgezeichnet. Für seine Arbeit wurde der an Krebs erkrankte Literat jüngst mit dem Johann-Heinrich-Merck-Preis ausgezeichnet. Morgen erhält Martin Pollack den Österreichischen Staatspreis für Kulturpublizistik.

 

OÖNachrichten: Für Menschen mit Ihrer Vergangenheit – der Vater war Gestapo-Chef, Ihr Stiefvater ein überzeugter Nazi – gibt es eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Entweder Sie sind Nazi quasi von Geburts wegen oder Sie sind das Gegenteil. Warum sind Sie Zweiteres geworden?

Martin Pollack: Ich bin der Einzige, der da ziemlich ausgeschert ist. Ich habe einfach viel Glück gehabt, weil sie mich nach dem Stiftergymnasium in Linz in ein Internat nach Mittersill geschickt haben. Unbeabsichtigt, denn das war eine total liberale Schule. In Linz, der Pollack-Vater war ein Nazi, aber er hat geschwiegen. In Amstetten bei meiner Großmutter war es weit schlimmer. In Amstetten habe ich immer gehört, warum gehst du nicht zur Burschenschaft und deutscher Mann und den ganzen Schrott. Als meine Großmutter gestorben ist, hat mich mein Onkel mit den Worten "Sie ist gestorben wie eine deutsche Frau" empfangen. Die waren alle bis zum Schluss überzeugt.

Wie sehr hat Sie Ihre "Ungnade der Geburt" unglücklich gemacht – oder empfinden Sie das als eine etwas aus der Fasson geratene Form des Glücks?

Ich habe nie wirklich damit gehadert. Vielleicht mit 14, 15, als mir meine Mutter gesagt hat, wer mein Vater wirklich war. Gestapo und SS. Da war ich schon so weit gebildet, dass ich wusste, okay, das ist jetzt nicht toll. In Amstetten war man sehr stolz auf ihn, aber man hat jetzt nicht gesagt, du, der war bei Judenerschießungen in der Slowakei beteiligt. Das war aber so, und das alles habe ich später selber recherchieren müssen.

Sie werden für Ihre akribische Überzeugungsarbeit mit Preisen überhäuft. Was bedeuten sie Ihnen?

Man kann nicht auf einen Preis hinschreiben, das ist lächerlich. So ein Preis freut einen. Dann denke ich mir, okay, die haben das zur Kenntnis genommen, und du hast eine gewisse Position, dass du einer derjenigen bist, der sich dieser Geschichte gestellt hat. Vor allem in Osteuropa wird meine Arbeit sehr gewürdigt. Auch für Österreich, in dem Sinn, dass man sagt, aha, das ist auch ein Österreicher, der so eine Haltung hat. So ein Preis ist in diesen Zeiten auch ein Anlass, dass ich mich politisch zu Wort melden kann.

Wer ständig in "alten Wunden" bohrt, muss viele Feinde haben.

Es ist eigentlich wenig passiert. Mit dem offiziellen Polen bin ich jetzt übers Kreuz, die haben mit mir gebrochen und mich auf den Index gesetzt, weil ich kritische Texte geschrieben habe. Damit kann ich gut leben. In Österreich habe ich eine große Gegnerschaft nicht so empfunden. Natürlich habe ich auch schon Drohbriefe bekommen, aber das kann ich nicht ernst nehmen: Ich sei der Sohn von Satan und soll ewig verflucht sein.

In Ihrer Dankesrede für den Johann-Heinrich-Merk-Preis haben Sie gesagt: "Für die Demokratie müssen wir kämpfen, jeden Tag" – war das schon lange nicht mehr so wichtig wie jetzt?

Ich empfinde das so. Ich vergleiche es im Hinblick auf die Jugend, die in einer Demokratie groß geworden ist und wenig verspürt hat, dass das auch gefährdet sein kann. Anders als bei einem Wasserhahn. Da drehst du auf und das Wasser kommt. Bei der Demokratie ist das nicht so. Um Demokratie musst du dich kümmern. Du musst aufstehen, du musst was machen, du musst Widerstand leisten, du musst genau hinschauen, alles das.

Ist die schwarz-blaue Regierung etwas, auf das man genau schauen muss – gar eine Bedrohung?

Natürlich, ganz klar. Es ist schon ein Versuch, die Demokratie abzubauen. Auch die Pressefreiheit. Wenn man sich an dieses kuriose Mail aus dem Kickl-Büro erinnert und der dann gesagt hat, er hat nichts davon gewusst. Das ist ein klarer Verstoß gegen die Pressefreiheit. Die probieren’s und dann rudert man zurück und sagt, Entschuldigung, war nicht so gemeint.

Österreich wird dem UN-Migrationspakt nicht beitreten.

Da stellen wir uns auf eine Seite, wo wir nicht stehen sollten. Wir sollten nicht bei Polen sein, bei Ungarn, bei Trump-Amerika. Das ist nicht unsere Seite. Das sind Länder, in denen die Demokratie stark beschädigt bis völlig ausgehebelt wurde. Dort existiert keine funktionierende Zivilgesellschaft mehr. Wir sind nicht gut vorbereitet, weil wir das nie gelernt haben.

Wie reagieren Sie auf pauschale Polemik, etwa: Diese Flüchtlinge können nicht alle zu uns herein und uns den Wohlstand rauben?

Ich war immer der Meinung, dass man das intelligent kontrollieren muss und nicht die Tür aufmachen kann und sagen: Ja, kommt’s alle herein. Aber was jetzt passiert, dass man wirklich gut integrierte Menschen mit Arbeit abschiebt, das ist unsinnig. Es beschädigt auch die Solidarität. Wir müssen solidarisch handeln, aber bis jetzt ist der ganzen EU zur ganzen Migrationsgeschichte noch nichts eingefallen. Was mich wirklich erschreckt – vor zehn Jahren war der Orbán ein belächelter Puszta-Faschist, heute ist er ein beispielgebender Politiker in Europa.

Wie geht es Ihnen gesundheitlich?

Ich bin krank. Sie haben einen neuen Krebs festgestellt, was mich auch nicht freut. Das Leben geht weiter, jetzt muss ich mich halt ein wenig beeilen. Ich schreibe an einem neuen Buch, es geht ums Jahr 1945 in meiner Familie. Und da geht es, wie in meiner Familie üblich, nicht ohne Nazis. Leider.

Haben Sie, was Ihre Arbeit betrifft, die Angst, dass Ihnen die Zeit davonlaufen könnte – oder sind Sie als konsequenter Spurensucher mit sich im Reinen?

Ich mache jetzt das neue Buch und bin ein bisschen verzögert wegen der Krankheit und der vielen Termine. Ich habe schon das Gefühl, dass ich einige Dinge hinterlasse, die bleiben.

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3  Kommentare
3  Kommentare
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Auskenner (5.366 Kommentare)
am 22.11.2018 14:04

Guter Mann. Bin froh, dass wir solche haben!
Muss ich lesen.

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jago (57.723 Kommentare)
am 21.11.2018 11:12

Die Pressefreiheit mit der Demokratie ohne Kupplung und Getriebe zu verbinden - das halte ich für sehr gewagt! :-/ traurig

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roxy (64 Kommentare)
am 21.11.2018 10:48

Bravo...

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