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"Lass dich nicht zu Grunde schunkeln"

Von Christine Zeiner, 18. Februar 2017, 00:04 Uhr
"Lass dich nicht zu Grunde schunkeln"
Deutschland größter Karnevalsumzug in Köln am Rosenmontag geht über eine Strecke von 7,5 Kilometer und dauert fünf Stunden. Bild: epa

Wenn Frösche, Fliegenpilze und Micky-Mäuse die Kölner Straßen bevölkern, dann ist die fünfte Jahreszeit angebrochen. Das närrische Treiben in der deutschen Hauptstadt des Karnevals hat Christine Zeiner miterlebt.

Nicht ganz zwei Stunden hatte ich Ruhe. Dann wurde ich geweckt. Es war kurz vor acht Uhr früh. Eine Masse drängte in den ICE, der von Berlin kommend nach Köln fuhr. CD-Player wurden eingeschaltet, Flaschen geöffnet, man stieß an, sang mit, stieß erneut an, sang noch lauter mit. Es war mit einem Schlag die Hölle an diesem Sonntag im Februar vor zwei Jahren. Ich sah auf das Schild "Psst", das an der Zugwand neben dem Handyverbotsschild klebte. Ein Schaffner ging vorbei, grüßte und sagte sonst nichts.

"Nee, da kannste nix machen. Das ist Karneval. Da ist das Gesetz außer Kraft", entgegnet ein Dortmunder auf meine Erzählung. Sein Sarkasmus ist unüberhörbar: Der Mann kommt aus dem Ruhrgebiet. Dortmund liegt von Köln nur an die 70 Kilometer entfernt, doch der Graben zwischen Pott und Rheinland ist gewaltig. "Der Rheinländer ist verrückt", sagt der Mann aus Dortmund. "Andere Sprache, andere Kultur, andere Bierkultur. Nein, gar keine Bierkultur." Die kleinen "Kölsch" serviert in einem 0,2-Liter-Glas nimmt jemand aus dem Pott – Kohle, Stahl, Fußball, Brauereien – nicht ernst. Auch in Norddeutschland ist man distanziert: "Karneval? Damit kannst du mich jagen", sagt ein Bekannter aus Hamburg.

"Lass dich nicht zu Grunde schunkeln"
Für die Kölner ist Karneval eine fixe Jahreszeit. Gesundheitliche und finanzielle Risiken seien aber zu hoch, um den Zug weiter zu planen. Bild: EPA

Am 11.11. um 11 Uhr 11 geht es jedes Jahr los. Haha? Halt. Der Kölner versteht hier keinen Spaß. Kölner Freunde posten jährlich auf Facebook den Karnevalsruf "Alaaf!" als sei es das erste Mal. Der Karneval ist offensichtlich der Höhepunkt des Jahres. Der frühere EU-Parlamentspräsident und neue SPD-Chef Martin Schulz bekannte im ORF einmal: "Da könnt’ ich heulen", als er das Karnevalslied "En unserem Veedel" (In unserem Viertel) hörte. Zunächst ergriffen, dann inbrünstig, sang er mit.

"Köln und Karneval, das hat mit Identität zu tun. Man muss sich mit der Gruppe identifizieren. Man muss sich darauf einlassen, kölsch zu sein", sagt Tom Ashforth. Der Brite lebt seit 20 Jahren in Köln. An einem Faschingssamstag ist der Musiker das erste Mal in der Stadt angekommen – und fand alles ganz großartig. "Alle waren gut gelaunt, total nett und hilfsbereit. Und überall Besoffene. Ich dachte, das sei normal." Dann habe er die Realität gesehen: Der Karneval war vorbei, und alle "hatten graue Gesichter".

"Es ist hier sehr organisiert, sehr ordentlich im Sinne von: Hier ist festgelegt, wann man unordentlich sein kann", sagt Ashforth. "In England ist das jedes Wochenende möglich. Hier in Köln lässt man ein Mal im Jahr alles raus, und dann muss man ein Jahr lang warten, bis man wieder alles auf den Kopf stellen kann." War er einmal auf einer "Sitzung" in den vergangenen Jahren? "Ich habe mich noch nicht getraut."

"Lass dich nicht zu Grunde schunkeln"
Jecken (Narren) vor der Kneipe/beim Gürzenich. Bild: Zeiner

An einem Mittwoch heuer im Februar bin ich in der Altstadt vor dem "Gürzenich", der Kölner Festhalle, fünf Minuten vom Dom entfernt. Hier finden viele der "Sitzungen" statt, der Karnevalsveranstaltungen mit Musik, Tanz und Büttenreden. Im Kopf das Geschimpfe des Ruhrpottlers: "Diese albernen Veranstaltungen! Dieser Humor! ,Wir ziehen los in ganz großen Schritten und Erwin fasst der Heidi von hinten an die Schulter, hihi, huhu.’ Schunkel,

schunkel. Und diese Lieder, die gern davon handeln, dass es in Köln am schönsten ist, und gelegentlich davon, dass es in der anderen Stadt – das ist Düsseldorf – nicht so schön ist. Ja, das sind so die Themen." Ein anderer Freund, aufgewachsen in Emmerich am Rhein, warnte mich: "Du wirst vom Stuhl kippen. Lass dich nicht zu Grunde schunkeln!"

Es ist "Mädchensitzung" des Karnevalvereins Rote Funken. Auf der Straße sieht man Frösche, Fliegenpilze, Micky-Mäuse, Katzen, grell geschminkte Frauen mit Glitzer auf den Wangen. Die Garde marschiert heran. Alles strömt in den Gürzenich. "Unkostümiert?", fragt der Ticketkontrolleur freundlich. "Na, da wernse auffallen wie ‘n bunter Hund."

"Haha, du gehst auf eine Sitzung? Hast du auch ein Kostüm?", schrieb mir Rebecca, eine mit Köln verbundene Berlinerin. "Oh. Man braucht also ein Kostüm? Reicht eine rote Nase?", fragte ich zurück. "Nur mit roter Nase wirst du dich unwohl fühlen! Vielleicht kannst du dir ja was ausleihen. Oder was ganz Einfaches machen, zum Beispiel eine schwarze Katze. Da musst du dich nur schwarz anziehen und ein bisschen schminken und solche Ohren aufsetzen ;)."

Ich sitze neben Silvie aus Köln. "Schönes Kostüm!", sagt sie und lacht herzlich. Dann kramt sie in ihrer Handtasche und holt ein rot-weißes Band heraus, das sie mir in die Haare bindet. "Die Farben der Roten Funken, der Hanse, des 1. FC Köln", erläutert sie und malt mir noch einen grün glitzernden Punkt auf die Nase. Zehn Minuten später haken sich Silvie und ihre Freundin bei mir unter – und wir schunkeln. "Oh, wie ist das schön, das hat man lange nicht geseh’n, so schön." Dann ein Lied, in dem es um Sonne, Dom und Rhein geht. "Dom und Rhein, davon handeln die meisten Karnevalslieder", sagt Silvie. Auch Kölner Dialektausdrücke erklärt sie prompt ("Bützchen, dat is ein Küsschen"). Der britische Musiker Tom hat recht: auffallend nett und hilfsbereit. Ich müsse unbedingt zur Weiberfastnacht kommen, sagt Silvie noch.

"Lass dich nicht zu Grunde schunkeln"
l Karnevalssitzungen sind kein billiges Vergnügen: Eine Karte kostet mindestens 35 Euro. Bild: Zeiner

In den Tagen vor Aschermittwoch ist in ganz Köln Ausnahmezustand. Auch im Schaufenster der Filiale des oberösterreichischen Unternehmens "Grüne Erde" ist zu lesen, dass man geschlossen haben und feiern wird. Ein befreundeter Oberarzt, der eine Zeitlang in Köln gearbeitet hat, berichtet, Karneval sei für Arbeitstiere wie ihn eine reine Katastrophe: Die Ärzte erst gar nicht da oder gezeichnet vom Feiern, eine Unterversorgung des Krankenhausbetriebes – und die Patienten hätten auch noch Verständnis dafür. "So nach dem Motto: Mir wurde versehentlich das falsche Organ entfernt, aber egal, es war ja Karneval."

Ein syrischer Freund hört interessiert zu, während ich von der Zugfahrt damals nach Brüssel berichte, mit Umstieg in Köln. Um zehn Uhr Vormittag Menschenmassen auf dem Bahnhof, niemand – nur ich – ohne Kostüm. In den vorbeifahrenden S-Bahnen Katzen, Piraten, Clowns. Auf den Bahnsteigen Krach, Schunkel-Musik oder Techno. Gejohle. Gekreische. Klingt doch ganz lustig, findet der Freund und fragt, was "schunkeln" ist. Ich mache es ihm vor, er lacht. Das sei bestimmt nett. Köln – da wolle er einmal hin.

 

Wenn Karneval ist...

Ursprung: Der Karneval in Köln hat eine lange Tradition. Heidnische Bräuche aus der Römerzeit wurden später von den Christen übernommen. Seit 1823 gibt es Karnevalsvereine in Köln, etwa das älteste Corps, die Roten Funken. Die Karnevalsgarden hatten mit ihren Auftritten besonders die strengen Preußen im Blick.
Ablauf: Die Haupt-Karnevalstage beginnen am Donnerstag vor Aschermittwoch mit der Weiberfastnacht (23. Februar), erreichen ihren Höhepunkt am Rosenmontag und dauern bis Veilchendienstag (28. Februar)

Frauen auf dem Vormarsch: Bis heute übernehmen die Frauen an Weiberfastnacht das Regiment und stürmen in vielen Städten die Rathäuser.

Männer aufgepasst! An Weiberfastnacht sollten die Männer besonders auf der Hut sein. Wer den Frauen in die Hände fällt, läuft nämlich Gefahr, seiner Männlichkeit beraubt zu werden. Natürlich nur im symbolischen Sinne. Besonders teure Krawatten sollten Herren dann besser im Schrank lassen, schließlich könnte es gut sein, dass jecke Frauen diese kurzerhand abschneiden. Als Entschädigung gibt es in der Regel aber Bützje – ein Bussi.

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