Das Außerirdische an Irland
Auf der grünen Insel wird jedes Klischee prächtige Realität – vom herzlichen Charakter ihrer Bewohner bis zu den mystischen Geheimnissen, die in der unwirklich schönen Landschaft schlummern.
Kann es sein, dass die Iren aus einer anderen Welt auf ihrer Insel aufgeschlagen sind? In einer anderen Zeit leben sie mit großer Wahrscheinlichkeit. Nicht, weil sie trotz provozierter Schnappatmung im restlichen EU-Raum das Eintreiben von 13 Milliarden Euro an Steuern beim niedergelassenen Computer-Giganten Apple verweigern. Hier sind die Menschen freundlicher, großzügiger, hilfsbereiter und dennoch melancholischer als auf dem kontinentalen Festland. Deshalb bringt man auch am dritten Tag der Irland-Reise diesen Satz des Dichters William Butler Yeats (1865–1939) nicht aus dem Kopf: "Hier gibt es keine Fremden, nur Freunde, die einander bisher nicht begegnet sind." Falsch, Yeats war nicht Werbetexter des irischen Tourismusverbandes, sondern Literatur-Nobelpreisträger, von denen in dieser 4,5-Millionen-Menschen-Republik auffallend viele herangewachsen sind.
Puzzle aus Land und Wasser
Hier läuft alles anders: Nicht die Menschen formten das Land – sie ließen dieses Himmelsgeschenk sogar wohltuend in Ruhe –, sondern das Land gestaltete die Menschen. Vor allem im Westen, um die pittoreske Stadt Killarney und noch weiter, von der Halbinsel-Schönheit Dingle nordwärts, wo der unbändige Ozean mit seiner heranrollenden atlantischen Macht das Festland angenagt und ein elementares Puzzle aus Land und Wasser erschaffen hat. So gewaltig, dass die Macher der "Star Wars"-Filme immer wieder vorbeikamen, um uns die zerklüfteten Küsten als außerirdisch unterzujubeln. Aber Irland gibt es wirklich, genauso wie die Iren. Um sie verstehen zu können, muss man bloß einiges von daheim vergessen. "Beißen Sie ruhig rein, in meinem Garten können Sie alles kosten", sagt Mary Bulfin, die in dem Dorf Mountrath (50 km westlich von Kildare) jeder als "Wild Food Mary" kennt. Die gut 50-Jährige ist Köchin, Gärtnerin, Kochbuch-Autorin und eine Art Ikone der Besinnung Irlands auf seine Schätze. Über viele Generationen hat sich die von England unermüdlich gedemütigte Insel von fett frittiertem Fleisch und Kartoffelbrocken ernährt. Heute exportieren sie das vermutlich beste Rindfleisch Europas wie ihren herausragenden Fisch nicht bloß, sie essen ihn auch selbst. Kaum stehen einige Häuser im Kreis, ist eines davon ein Restaurant von hervorragender Qualität.
Im bunt-malerischen Hafenstädtchen Dingle Town hat sich in den vergangenen Jahren das weltweit beachtete "Food & Wine Festival" etabliert. Köche und Produzenten von der ganzen Insel treffen einander hier im Oktober und präsentieren ihre kulinarischen Experimente einer internationalen Jury. So, als würde sich halb Irland aufmachen, um es der Welt zu zeigen. Mark Murphy hat sich diese Welt jahrelang angeschaut, sogar in Linz hat er mehrfach gegessen, weil hier einer seiner Freunde als Koch beschäftigt war. Seit zwei Jahren betreibt er die "Dingle Cookery School" (dinglecookery-school.ie) und bäckt mit uns "Traditional Brown Irish Bread", er lehrt die Zubereitungsgeheimnisse für frischen Seehecht und wie der typische Apfelkuchen aus der Grafschaft Kerry gerührt werden muss, damit er großartig irisch schmeckt.
Nicht jeder Dunst vom Guinness
Keine Sorge, die dunklen irischen Pub-Höhlen mit ihren buckligen Gestalten in ausgebeulten Tweed-Jacketts gibt es auch noch. So wie sich jedes irische Klischee – vor allem jenes über dieses unverschämt leuchtende Grün – in Realität verwandelt. Live-Folk-Musik überall, und wenn man Glück hat, dann tanzen die Iren ihre Hüpfer mit abwechselnd hochgezogenen Knien – ganz im Gegensatz zum Musik-Getrampel in Resteuropa. Wenn man noch mehr Glück hat, sind sie noch nicht so besoffen, dass sie hinfallen. Aber nicht aller Dunst kommt vom Guinness, viele Pubs servieren längst selbstgebraute Biere, die es zur Meisterschaft bringen. In Irland liegen die größten Steinkreise der Welt wie zufällig in der Wiese.
So gut wie jeder weiß hinreißende Druiden-Geschichten zu erzählen. Andererseits kann sich niemand die statischen Kenntnisse erklären, mit denen im 8. Jahrhundert das perfekt erhaltene Gallarus-Oratorium, eines der ältesten frühchristlichen Gebetshäuser, in Trockenmauertechnik erbaut wurde. So bewahrt sich Irland seine Geheimnisse. Zurück in Killarney erstreckt sich im Süden der Stadt der mit Eichenwäldern, Erdbeerbäumen und riesigen Rhododendron-Sträuchern bewachsene Nationalpark. Der warme Golfstrom lässt hier Pflanzen wachsen, die sonst nur im Mittelmeerraum gedeihen. Am Ostufer des Lough Lane ("See des Lernens") wacht Ross Castle über dem 100 Quadratkilometer großen Landstrich. Padraig, der uns seine Heimat auf dem Fahrrad zeigt, bleibt stehen und sagt: "Nun, das ist Irland. Österreich ist sicher beeindruckender." Ach Padraig, du bist ja nicht von dieser Welt.
So kommen Sie nach Irland
Die irische Fluglinie „Aer Lingus“ bietet außer samstags und dienstags täglich preiswerte Flüge von Wien nach Dublin an.
Der Veranstalter Prima Reisen (www.primareisen.com) hat sich in den vergangenen Jahren als Irland-Experte etabliert. Das Unternehmen hat Rundreisen (ab 13. April), Wanderreisen (ab 29. April), Radreisen (ab 20. Mai), Autotouren unter anderem mit stilvollem Übernachten in irischen Herrenhäusern (ab 1. April) und Hausboot-Vermietungen (ab 11. März) auf der Grünen Insel im Programm.
Info-Tel.: 01/50 50 22 20.
Destillerie-Tipp
Die Dingle Distillery ist ein bemerkenswertes Kleinod neben den drei großen irischen Destillerien. Das Unternehmen finanzierte seinen Start, indem es exklusive Fässer an sogenannte „Dingle Founding Fathers“ verkaufte, die selbst entscheiden konnten, wie lange ihr Whiskey darin lagern sollte. Die Qualität des ersten Fasses Single Malt, das im November 2016 geöffnet wurde, wurde international als herausragend gelobt.
Dingle Gin war ursprünglich als Übergangsprodukt gedacht, das dem Unternehmen helfen sollte, über die ersten Jahre zu kommen. Im vergangenen Jahr wurde Dingle Gin als weltweit bester London Dry Gin ausgezeichnet.