Wirtschaft warnt vor wenig beachteten Brexit-Folgen
BRÜSSEL. Markus Beyrer, Generaldirektor des Wirtschafts-Dachverbands BusinessEurope in Brüssel, warnt vor Folgen, die in der Diskussion über den Brexit bisher wenig Beachtung finden.
In den Führungsetagen vieler Industriebetriebe in Europa herrscht seit letzter Woche Erleichterung. Die de facto Einigung auf eine 20-monatige Übergangsfrist nach dem Austritt der Großbritanniens aus der EU verschafft den Unternehmen mehr Zeit sich darauf vorzubereiten. Zeit, die sie dringend brauchen und die die Wirtschaft gefordert hatte.
60 Prozent der britischen Firmen hatten in einer Umfrage der britischen CBI (Confederation of British Industry) im November erklärt, sie müssten bis März entscheiden, ob sie weiter auf den britischen Inseln investieren oder - Anlagen bzw. so wie Unilever sogar den Sitz auf den Kontinent verlagern. Nun könnten sie diese Entscheidung reiflich überlegen, sagt Markus Beyrer, Generaldirektor des Wirtschafts-Dachverbands BusinessEurope in Brüssel.
Er warnt jedoch vor anderen Folgen, die in der Diskussion über den Brexit bisher wenig Beachtung finden. Denn auch wenn mit der Übergangsfrist Großbritannien bis Ende 2020 im Binnenmarkt und in der Zollunion bleibt, wäre es von außen gesehen ab Ende März 2019 kein EU-Mitglied mehr.
Relevanz für 60 Handelsabkommen
Relevant wäre das laut Beyrer für rund 60 EU-Handelsabkommen. "Unsere Lesart ist, dass für die Briten zwar bei Importen die EU-Regeln gelten, sie aber bei Exporten nicht von den EU-Zollvereinbarungen profitieren", so der BusinessEurope-Chef. London müsste die Handelspartner aktiv darum bitten.
Die EU will laut Brexit-Vertrag die Änderung notifizieren, mit dem Hinweis, dass sie einverstanden wäre, wenn den Briten bis zum Ende der Übergangsfrist gleich behandelt werden. Kanada und Japan hätten ihr Einverständnis schon signalisiert, sagt Beyrer, Länder wie Südkorea, könnten aber "einen Preis verlangen". Er drängt daher, dies rasch in Angriff zu nehmen, weil "das wird nicht automatisch gehen" und niemand könne die Zustimmung "substituieren". Ohne Einigung wäre Großbritannien in der Situation der Türkei, die sich immer wieder beklage.
Probleme bei Ursprungsregeln
Probleme könnten es dann in der Übergangsfrist auch bei den Ursprungsregeln geben, obwohl sich laut EU-Kommission bis 2020 nichts ändert. Sie legen im weltweiten Handel fest, unter welchen Bedingungen eine Ware einem Staate zugeordnet wird - zollmäßig oder steuerlich. Und sie sind "komplex", sagt Beyrer, denn "Made in ..." hängt vom Produktionswert ab oder von technischen Standards. Bestimmte Produkte, die heute in Großbritannien endgefertigt werden, könnten plötzlich nicht mehr als EU gelten.
Mit dem Austritt muss dann jedes Unternehmen entscheiden, ob es künftig außerhalb der EU produziert und eventuelle Zölle beim Import in die EU in Kauf nimmt oder auf den Kontinent umsiedelt. Eine Zollunion "a la carte", also Ausnahmen für einzelne Sektoren oder Produkte, wie das die britische Premierministerin Theresa May fordert, werde es nicht geben, ist Beyrer überzeugt.
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Bei einem Austritt sind eben auch die Rosinen weg.