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Der Rausch der Wiesn

Von Valentina Dirmaier, 23. September 2017, 00:04 Uhr
Der Rausch der Wiesn
Premiere auf der Wiesn: Redakteurin Valentina Dirmaier arbeitet als Rosenmädl im Weinzelt Kuffler. Bild: Dirmaier

Das Münchner Oktoberfest zieht jährlich Millionen Besucher auf die Theresienwiese. Auch Redakteurin Valentina Dirmaier, die als Rosenmädl auf der Wiesn Meter macht.

G’schwind die Dirndlschürze glattstreichen, Omas geliebten Trachtenschal drapieren, die Baumwollbluse mit vier blinkenden Herzen bestücken, die Lippen verkehrsrot anstreichen und einen Bund Rosen mit dem klingenden Namen Red Naomi in die linke Armbeuge betten. Mit dem verbalen Aufputschmittel "Hab’ Spaß" geht’s vorbei an der Großküche, wo täglich an die 7000 Enten zerlegt werden. Vorbei an der Essensausgabe, wo Hunderte Gusseisenpfannen und Meterholzbretter beladen mit dampfender, deftiger Hausmannskost im Minutentakt über die Theke gehievt werden. Vorbei an der Ausschank, wo die Halbe in fünf Sekunden ausgeschenkt wird.

Der Rausch der Wiesn
Essensausgabe: Eine Jausenplatte kostet mehrere hundert Euro. Bild: Dirmaier

Das 184. Oktoberfest läuft an und mit ihm eine Schar an Personal. In Kufflers Weinzelt, einer Institution der Wiesn, sind es 300 Mitarbeiter sowie 100 Kellnerinnen und Kellner, die meisten mit Tiroler Dialekt oder Salzburger Akzent, die ausschenken, servieren und kassieren. Ihr Tempo ist ungemein hoch, der Umsatz groß. Meistens.

Das Oktoberfest ist schnell, bunt, schrill. Für Gäste und Angestellte, die auch mit jedem Tag schmerzbefreiter sind. Irgendwann tut auch der Stachel einer Rose, der sich ins Fleisch bohrt und die Unterarme aufs Neue mit Kratzern zeichnet, nicht mehr weh. Die Schmerzen werden geschluckt.

Das Lächeln wird vor der Menge aufgesetzt. Ab geht’s ins Getümmel, hinein ins Herz der Champagner-Kathedrale, wo Schaumwein und Prosecco wie Milch und Honig fließen. Eine bayerische Combo schmettert die Kassenschlager von Fendrich, Gabalier und Opus auf der Bühne. Ihr zu Füßen schmatzen die Gäste bei Speckbrot, Scampi und Schmarrn. Die Brotzeit-Gesättigten schunkeln, singen und tanzen auf den massiven Holzbänken.

Der Rausch der Wiesn
Ausblick vom Balkon-Logenplatz Bild: Dirmaier

 

"Darf es eine Rose für die Dame sein?" Kopfschütteln bei den Männern. Mitleidige Blicke bei den Frauen. Die Nachmittagsstunden sind zäh. Blumen und Liebe werden erst am Abend geschenkt. Besonders wenn’s die Wiesn verregnet und sich die Münchner lieber Zuhause verkriechen. Dann bleiben nur Italiener, Amerikaner, Briten und Franzosen, die sich das triste Wetter schöntrinken.

Geld wollen sie nur ins leibliche Wohl investieren. Pech fürs Rosenmädl, für die Fahrgeschäftsleute. Pech für alle. Die Gäste bleiben nach dem hoffnungsvollen und umsatzreichen Auftaktwochenende fürs Erste einmal aus. "Mach dir keinen Kopf. Das wird schon. Wirst seh’n, die Leute kommen schon noch." Lisl muss es wissen. Zum siebenten Mal verkauft die Münchnerin und nunmehrige Wahl-Salzburgerin Rosen auf der Wiesn, viele Gäste gehören zur Stammklientel. Motivation ist ihr zweiter Vorname. Gaudi ihr Lebenselixier.

Der Rausch der Wiesn
Lisl (li.) arbeitet zum siebenten Mal auf der Wiesn als Blumenverkäuferin. Bild: Dirmaier

Wiesenkoks statt Rosen

Also, weiter geht’s. Wenn schon kein Geschäft mit stacheligen Zierpflanzen gemacht wird, kann das Wiesenkoks, auch Schnupf genannt, im Fläschchen vielleicht die Verkaufskrise überbrücken. Nein, kein illegaler Stoff, sondern weiß eingefärbter Schnupftabak. Der Staubzucker, der das Stirnhirn kurzfristig prickeln lässt, ist ein Kassenschlager auf dem Oktoberfest.

Nachdem der Uhrzeiger Meter gemacht hat – möglicherweise mehr als Kellner und Verkäuferinnen an miesen Tagen – füllt sich das Zelt, die Feierstimmung ist hoch in den einzelnen Abteilen, Boxen genannt. Klingt nach einer Anordnung ähnlich einem Viehstall. Ist auch manchmal so. Zu später Stunde, wenn Hemmungen und Manieren mit Krügen voll vergorenem Sprudelwasser weggespült wurden, erwacht in so manchem Gast das Tier.

Und die Mädchen, die mit Plüsch-Hasenohren, blinkenden Umhängern, Filz-Lebkuchenherzen zum Anstecken, Jägerhüten mit Federn und bunten Blumenkränzen durchs Zelt schreiten und Krimskrams unters Partyvolk bringen, werden für sie Freiwild. Oder zum Opfer. Und nicht jede kann die Erniedrigung ohne Tränen wegstecken.

Unter der Gürtellinie

Der noble Ton weicht nicht selten Sprüchen und Handgriffen unter der Gürtellinie. "Ich hätt’ mir eigentlich schon einen Neger als Rosenverkäufer erwartet." Rassist. Oder: "Deine Rosen und dich für 1000 Euro." Idiot.

Da hilft nur zweierlei: Eine saftige verbale Retourkutsche. Oder: "Beim einen Ohr rein, beim anderen wieder raus." Martins Strategie gegen niederträchtige Witze und Beleidigungen. Der bullige Münchner mit dem großen Herzen, einem Studienabschluss und einem eigenen Unternehmen wacht über Gäste und Personal in Box eins, für die bereits bei der Onlinereservierung teils utopische Preise von kolportieren 10.000 Euro für einen Tisch hingelegt werden müssen. Für die Wiesn nimmt sich der stramme Bayer Urlaub. Das Geschäft kennt er wie die Brusttasche seines Karohemds. Zum zehnten Mal ist er dabei.

Das siebente Jahr rennt und schwitzt Christoph aus Schwanenstadt auf dem Oktoberfest als Kellner. Sein Schweiß hat einen Preis. Wie Papa Max hat es der fleißige Filius in den erlauchten Kreis der Platzhirsche geschafft und bewirtet die hohe Gesellschaft, die an wirtschaftlich erfolgreichen Tagen um bis zu 20.000 Euro zecht.

Der Rausch der Wiesn
In der Premier League angekommen: Christoph aus Schwanenstadt bewirtet Gäste auf den begehrtesten Plätze. Bild: Dirmaier

 

Dann wird schon einmal eine 15-Liter-Flasche edelsten französischen Schaumweins der Marke Roederer geköpft. Gezahlt werden 4400 Euro. Um 15 Euro gibt’s noch einen Schirm oben drauf. Nicht als Schutz vor Regen, sondern vor der Sektdusche. Geparkt wird das Edelgesöff in der Riesen-Milchkanne. Getrunken wird aus eisgekühlten Liter-Krügen. Zum Wohl.

Der Rausch der Wiesn
Teures Prickeln: Eine 15-Liter-Flasche Roederer kostet 4400 Euro. Bild: Dirmaier

 

Mit dem steigenden Konsum des prickelnden Genusses wird auch die Geldtasche der Gäste locker. Der Alkohol fließt in rauen Mengen, der Euro rollt immer flotter. Es wird schnell konsumiert. Ein Leucht-Herz, ein wackelnder Partyhut in Form eines Brathuhns, eine Neonbrille. Der Verkauf läuft, auch für die Rosendamen.

"Ich hätte gerne eine Blume für meine Frau!" "Gerne." "Ach was, du und dein Dialekt, ihr seid mir sympathisch! Ich nehm’ den gesamten Strauß für meine Herzdame. Und den Rest können S‘ behalten." Welch’ ein Rosenkavalier.

Aus einem zähen Nachmittag wird ein feuchtfröhlicher Partyabend, den die Band mit "Music was my first love" von John Miles um kurz nach halb ein Uhr morgens ausklingen lässt. Der Arbeitstag nimmt ein versöhnliches Ende. "Gut gelaufen. Hattet ihr Spaß?" "Ja!" "Dann ab nach Hause, morgen ist ein neuer Wiesn-Tag!"

Oktoberfest in Zahlen

6,1 Millionen Liter Bier wurden im vergangenen Jahr von etwa 5,6 Millionen Besuchern konsumiert. Im Jahr zuvor
waren es 7,5 Millionen Liter.

42 Hektar misst die Fläche der Theresienwiese, davon werden 31 Hektar für das Oktoberfest genutzt. Die Oide Wiesn misst ungefähr drei Hektar.

144 Gastronomiebetriebe gibt es auf der Wiesn. Die größte Festhalle, inklusive Biergarten, ist das Hofbräuzelt mit mehr als 11.000 Sitzplätzen.

Was Lisl empfiehlt

Zum 7. Mal arbeitet Lisl auf der Wiesn und kennt Aussteller und Attraktionen besser als mancher Stammgast. Die Münchnerin verrät, was Oktoberfestbesucher keinesfalls versäumen dürfen:

 

Teufelsrad: Beim Feldl, der schon seit 1910 auf der Wiesn ausstellt, geht’s immer lustig zu: Auf einer immer schneller drehenden Scheibe muss das Gleichgewicht gehalten werden, während mit Seilen und einem Ball nach den – teils betrunkenen – Akrobaten geworfen wird. Allein das Zusehen lohnt sich.

 

Ochsensemmel: Etwas schlampig hergerichtet, aber ein Klassiker: Die Wiesn-Jausn für den kleinen Hunger bekommt man bei der Ausgabe vor dem Zelt der Ochsenbraterei. Wer einen g’sunden Magen hat, sollte ins Zelt schauen: Ein Ochse wird am Spieß gedreht, Name und Gewicht stehen auf einer Tafel.

 

Schichtl: Es ist ein schaurig-schräges Theater, das seit 1869 die Massen lockt. Im „Original-Zauber-Spezialitäten-Theater“ werden Zaubertheater und Puppenspiel gezeigt und schließlich eine lebende Person mit der Guillotine auf der Bühne hingerichtet. Aber keine Sorge, alles ist Show im Kuriosum-Kabinett.

 

Café Kaiserschmarrn: Das Gebäude, in dem herrlich duftende Backwaren verkauft werden, ist eine Augenweide: Im Schlaraffenland der Bäckerei Rischart, die an der Fassade mit Kaffeetassen, Kanne und Kochlöffel verziert ist, gibt es ein herrliches Frühstück: eine Auszogene, ein ausgebackener Hefeteig mit Zucker.

 

Hau den Lukas: Beim Kräftemessen wollen hier die Männer ihre Angebetete beeindrucken. Der Rekord liegt bei 500 Mal Hindreschen in 39 Minuten. Das Geheimnis ist aber nicht nur Kraft, sondern Technik. Nicht brachial zuschlagen. Der gefederte Kopf muss ganz exakt mit dem Hammer getroffen werden.

 

Oide Wiesn: Ein Muss für Nostalgiker, die bayerisches Brauchtum und Gemütlichkeit erleben wollen. Zum 200-Jahr-Jubiläum vor sieben Jahren wurden erstmals auf einem abgetrennten Areal im Südteil der Theresienwiese die Klassiker mit Krinoline, Zugspitzbahn und Hexen-Schaukel wieder angeboten.

 

Toboggan: Die Turmrutschbahn ist nicht nur für Wagemutige ein Spaß, sondern auch für die Zuseher. Um hinaufzukommen, muss auf einem Förderband gesurft werden. Aber die Bahn, die ihren Namen den kanadischen Algonkin-Indianern verdankt, ist gnadenlos: Nur wenige schaffen es, die Balance zu halten.

 

 

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7  Kommentare
7  Kommentare
Neueste zuerst Älteste zuerst Beste Bewertung
alleswisser (18.463 Kommentare)
am 24.09.2017 02:45

"sondern weiß eingefärbter Schnupftabak"

So ein Qutasch. Der "Wiesnkoks" ist weder Schnupftabak noch wird da etas weiß eingefärbt. Sondern es ist 100% Traubenzucker mit etwas Aroma, meist Minze o.Ä.

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oneo (19.368 Kommentare)
am 23.09.2017 18:52

Wer noch ein echt bayrisches Volksfest erleben will, fährt nicht auf die "Wiesn" sondern nach Erding oder Straubing aufs Gäubodenfest. Dort gibt es zwar auch Rauschige, aber keine solchen Totalleichen wie in München. Auch die Musik ist noch zünftiger und das Bier um Häuser besser.

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fritzicat (2.724 Kommentare)
am 23.09.2017 19:07

Erding ist total super. Ein Kellner dort meinte einmal , er verdiene sehr gut, aber noch besser geht´s dem "Häuslmann", der bekommt meist ein Fuffzgerl oder gar einen ganzen Euro .............. und bei ein paar Tausend Sch......r komme da schon was zusammen.

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weinberg93 (16.311 Kommentare)
am 23.09.2017 19:11

Oder Bergkirchweih in Erlangen.

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Fensterputzer (5.141 Kommentare)
am 23.09.2017 17:01

Zitat: Vorbei an der Ausschank, wo die Halbe in fünf Sekunden ausgeschenkt wird.

Eien "Halbe" wird man vergeblich bestellen. Da bekomm'st zur Antwort:

"Woat bis'd oan Duascht host". grinsen

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jago (57.723 Kommentare)
am 23.09.2017 13:50

Der Unterschied zwischen HH und M ist hier am deutlichsten messbar.

Trotzdem. Als ich in den 60ern nach München kam, fiel mir auf, dass keine Alkoholleichen auf den Straßen herumlungerten. In W, L und S jedoch viele.

Noch mehr OT: Das Rosenmädel hat reode Reosn in der Hand.

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Gugelbua (31.812 Kommentare)
am 23.09.2017 12:10

die Jagd nach besoffenen Promis ist immer lustig grinsen

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