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"Was haben wir in Kiew geändert? Einen Dreck"

Von Stefan Scholl, 21. Februar 2018, 00:04 Uhr
 "Was haben wir in Kiew geändert? Einen Dreck"
Wer die Maidan-Demonstranten in Kiew mit Schüssen aus dem Hinterhalt getötet hat, ist auch nach vier Jahren noch immer nicht geklärt. Bild: Stefan Scholl

Analyse: Vier Jahre nach dem Maidan-Umsturz lebt die ukrainische Hauptstadt wieder in einer Zeit voll Enttäuschungen und Zweifel.

Rauchfahnen hängen über den Protestzelten. Es riecht nach Holzkohle, wie 2014 auf dem Maidan. Ein paar Männer stehen und reden. "Was passieren wird?", der Yoga-Lehrer Alexei Kalaschnik überlegt. "Schwer zu sagen. Aber von Zeit zu Zeit beseitigt jedes Bienenvolk seine Drohnen."

Vor genau vier Jahren stürzten in Kiew proeuropäische Aufständische den russlandtreuen Staatschef Viktor Janukowitsch, nach dreimonatigen Protesten und Schießereien, bei denen über hundert Menschen starben. Aber der neue prowestliche Präsident Petro Poroschenko ist inzwischen selbst heftig umstritten, seit Monaten kampieren wieder hunderte Regimegegner in einem Protestlager, diesmal direkt neben dem Parlament.

Zweifelhafte Umstände

Die Wirtschaft hängt durch, die Pressefreiheit wankt, Kiew ist wieder eine Hauptstadt sehr zweifelhafter Zustände.

Dabei ist Kiew smart. Im fröhlichen Gewirr der Autorencafés und Bier-Kneipen machen junge Leute Musik. Neue Bioläden, Modeschneidereien und IT-Büros machten auf. Aber gegenüber dem Hilton-Hotel steht ein Mütterchen und bietet riesige Unterhosen feil. Die ukrainische Durchschnittsrente liegt unter 75 Euro. Der deutsche Wirtschaftsanwalt Wolfram Rehbock, der seit über 15 Jahren in Kiew arbeitet, sagt, das Wirtschaftsvolumen sei gegenüber 2013, der Zeit vor dem Maidan, um 50 Prozent geschrumpft.

Selbst das erfolgreiche Kiew ist arm. Der Computerdesigner Michailo Gafin teilt sich mit seiner Freundin eine Einraumwohnung für 200 Euro. Der Block seines Computers steht auf billigem Linoleum-Fußboden. Michailo zeigt stolz Webseiten, die er für Kiewer Schönheitssalons, russische Baufirmen und ukrainische Internetläden entworfen hat. 500 bis 5000 Dollar verdiene er im Monat, im Jänner aber erst 370 Dollar. "Die meisten Ukrainer haben gerade Geld für Brot, Butter und Wurst."

Auch Michailo riskierte 2014 auf dem Maidan Kopf und Kragen, aber heute, sagt er, würde er nicht mehr hingehen. "Was haben wir geändert? Einen Dreck." Poroschenko sei nicht zu trauen, seinen Gegenspielern auch nicht. Michailo klickt auf Fotos, die die Revolutionsheldin Nadeschda Sawschtschenko in verdächtiger Nähe zu Einsatzpolizisten zeigen, zu Fotos mit mutmaßlichen Einschusslöchern auf den Bäumen am Maidan. Die darauf hindeuten, dass die Aufständischen aus dem Hotel Ukraina beschossen wurden, das die Aufständischen selbst kontrollierten. "Ich glaube niemandem mehr", sagt Michailo.

Der Krieg ist in den Köpfen

Nach jüngsten Umfragen wollen bei den Wahlen 2019 nur 7,6 Prozent für Poroschenko stimmen. Poroschenkos Behörden behindern die Arbeit des neuen Antikorruptionsbüros, seine Gerichte verschleppen die Aufklärung der Todesschüsse auf dem Maidan, ebenso der Ermordung unliebsamer Journalisten. Seine Sicherheitsorgane stürmten die Redaktion der Oppositionszeitung Westi. Und sie deportierten den von Poroschenko eingebürgerten georgischen Ex-Präsidenten Saakaschwili, nachdem dieser Antikorruptionsproteste organisiert hatte.

Man sieht in Kiew nicht die 600 Kilometer entfernte Front, an der täglich ukrainische Soldaten verwundet werden oder sterben. Aber der Krieg ist in den Köpfen. Ein Neujahrsurlaub Poroschenkos auf den Malediven, der angeblich 500.000 Dollar kostete, wurde zum Skandal. Der neue Präsident prasst wie der alte, Kiew lebt in einer Zeit der Enttäuschung, die manche als schmerzhaften Stillstand, andere als freien Fall empfinden. "Ich habe das Gefühl, wir stürzen ab", klagt Ina Solotuchina, Journalistin des Oppositionsportals strana.ua. "Niemand weiß, wie hart der Aufprall wird."
 

  • 4. Jahrestag: Vor genau vier Jahren, am 22. Februar 2014, wurde die Moskau-treue Führung in Kiew gestürzt. Bei den Straßenschlachten kamen mehr als 100 Menschen um. Präsident Viktor Janukowitsch floh aus Kiew.
  • Krim-Annexion: Russische Soldaten ohne Hoheitsabzeichen übernehmen wenige Tage später auf der Krim die Kontrolle, am 18. März besiegelt Kremlchef Putin die Annexion per Anschlussvertrag.
  • 7,6 Prozent der Ukrainer wollen laut jüngsten Umfragen den pro-westlichen Präsidenten Poroschenko bei der Wahl im nächsten wiederwählen. Die Ukrainer sind zutiefst enttäuscht. Die Wirtschaft hängt durch, die Korruption blüht.

 

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2  Kommentare
2  Kommentare
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hepusepp (6.259 Kommentare)
am 21.02.2018 07:33

Wie soll es auch anders sein, mit den nur auf die Eigene Tasche schauenden EU- Einsager und Geschäftemacher! Dennen ist die Ukraine ziemlich egal, Hauptsache ist, sie haben einen willigen Präsidenten als Erfüllungsgehilfen. Dieses Land braucht Europa noch nicht, vielleicht in 20-Jahren, die Demokratie muss von innen kommen, und nicht durch die EU Verordnet.

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jago (57.723 Kommentare)
am 21.02.2018 14:30

Die pekuniäre Betrachtung halte ich für irreführend. Die Gierigen in den Regierungskreisen sind nur an der Macht interessiert.

Natürlich auch an der Macht, die sie mit dem Vermögen leichter erreichen. Womit sie ihre Nodigen unter sich am Nasenring führen können, Eindruck schinden, Handaufhalter kaufen.

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